Aber das ist nicht der einzige Song von „Memento Mori“, der so perfekt für das steht, was Depeche Mode in ihren besten Momenten immer ausgezeichnet hat: Die Fusion von Melancholie und Energie, von perfekter Schönheit und dämonischer Bedrohung, die immer irgendwo im Untergrund brodelt.
Das großartige „My Cosmos Is Mine“ hat als Basis Geräusche, die zu einem Klang- und Beat-Teppich verwoben wurden und eine entrückte Atmosphäre in den Äther zaubern. „Soul With Me“ ist eine Ballade mit sanften harmonischen Einflüssen aus dem Jazz, die Gitarrist und Hauptsongwriter Martin Gore singt wie ein Engel. Das düstere, aber in der Melodie einnehmende „Before We Drown“ kann ein Klassiker in Depeche-Mode-Repertoire werden, genauso das – für Depeche Mode-Verhältnisse - poppige „Wagging Tongue“, in dem Gahan über sterbende Engel nachdenkt.
So ist „Memento Mori“ das beste Album der Band seit mehr als zehn Jahren. Und das, obwohl Gahan und Gore es beinahe nicht aufgenommen hätten. Wie Gahan der New York Times erzählte, hatte er anfangs gar keine Lust dazu. Der in New York lebende 60-Jährige hatte sich während der Pandemie in seinem Landhaus in Montauk eingenistet, das er wegen der Depeche-Mode-Aktivitäten vorher kaum nützen konnte. „Ich ging am Strand spazieren, spielte meine Gitarre zu den Songs der Rolling Stones und dachte, ich mag mein Leben so wie es gerade ist. Wenn ich mich wieder auf einen Album-Tour-Zyklus einlasse, verpflichte ich mich zu drei Jahren, in denen ich nicht so leben kann.“
Doch all das war, bevor Keyboarder Andrew „Fletch“ Fletcher im Mai 2022 plötzlich an einem Riss der Aorta starb. Sein Ableben ist aber nicht der Grund dafür, dass der Tod das vorherrschende Thema auf „Memento Mori“ ist. Gore schrieb die meisten Songs während der Pandemie, von der diese Texte beeinflusst sind, und hatte auch den Album-Titel schon lange vor dem Tod seines Schulfreundes. Außerdem wurde er vor zwei Jahren 60, was ihm bewusst machte, dass „ich mit mindestens einer Zehe schon im Grab bin“.
Andrew Fletchers Tod hatte trotzdem riesigen Einfluss auf „Memento Mori“. Nicht musikalisch, nein, da waren bei Depeche Mode immer schon Gore und Gahan die treibenden Kräfte. Fletcher war aber ein wichtiger Teil des psychologischen Gefüges der Band gewesen - ein Puffer, wenn Gore und Gahan aneinandergerieten, was häufig der Fall war. Seitdem Gahan nämlich eine Solokarriere gestartet hatte, wollte er auch Songs für Depeche Mode schreiben. Das war aber bis dahin das angestammte Territorium von Martin Gore gewesen.
„Für Martin war das eine Bedrohung“, erinnert sich Gahan. „Fletch war dann immer auf Martins Seite gewesen. Wenn wir abstimmten, habe ich verloren. Aber als Fletch gestorben war, hatte ich sofort das Gefühl, Martin beschützen zu müssen. Ich dachte, das trifft ihn viel härter als mich. Und als Martin mir dann unsere erste Single ,Ghosts Again‘ vorspielte, dachte ich: ,Wow, ich kann es nicht erwarten, diesen Song zu singen!`“
Als die Depeche-Mode-Maschinerie - ohne Andrew Fletcher - wieder im Laufen war, offenbarte sich dann genau das Gegenteil von dem, was Kritiker prophezeit hatten. Anstatt, dass die beiden sich komplett zerkrachten, fanden sie näher zusammen, schrieben sogar gemeinsam Songs für „Memento Mori“.
„Nach Fletchs Tod muss jetzt jede Entscheidung von uns beiden getroffen werden“, erklärte Martin Gore der New York Times. „Deshalb müssen wir es jetzt sofort ausreden, wenn wir Meinungsverschiedenheiten haben. Und das tun wir. Wir sind wie lange verloren geglaubte Brüder.“
INFO: Depeche Mode treten am 21. Juli im Wörthersee Stadion in Klagenfurt auf.
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