Das Buch zum Facebook-Skandal erschien 1942

Aktueller als George Orwells „1984“: Die „Foundation“-Serie des legendären Autors Isaac Asimov.

Gerade eben haben wir uns daran gewöhnt, dass wir in einer eigenartigen Version von George Orwells „1984“ leben: Freiwillig lassen wir uns vom Großen Bruder überwachen, der sich Google und Facebook und Amazon nennt und im Austausch für Einblick in unser Leben verspricht, sich für uns um Wissen und Freundschaft und Unterhaltung zu kümmern.

Doch nun heißt es umdenken: Eine andere Zukunftsvision hat „1984“ überholt. Isaac Asimovs „Foundation“-Serie ist das Buch zum Facebook-Datenskandal.

 

Geschrieben hat Asimov die Serie ab 1942, noch sechs Jahre vor Orwells Totalitarismus-Klassiker.

Es geht darin um etwas, das uns in den letzten Tagen wieder schmerzlich bewusst gemacht wurde: Wer die Psychologie der Massen versteht, dank Wissenschaft und Daten, kann die Zukunft voraussagen. Und beeinflussen.

Manipulation

Es geht nicht, wie bei Orwell, um Unterdrückung, sondern um Manipulation der Massen. Und damit, Jahrzehnte vor deren Gründung, um Facebook und Google und Amazon. Und Cambridge Analytica, jene Firma, die im Zentrum Facebook-Datenskandal steht, die sich brüstet, durch Zugriff auf digitale Profile Wahlen beeinflussen zu können.

„Psychohistorik“ nannte Isaac Asimov das in seiner „Foundation“-Buchserie.

Der legendäre Science-Fiction-Autor (1920–1992) ersann eine mathematisch fundierte Wissenschaft der Gesellschaft, die den Aufstieg und den Fall eines galaktischen Reichs vorhersagen – und beim Aufbau einer neuen Weltordnung helfen könne. Der Mensch ist hier ein Körnchen in der Statistik, und zusammen mit den anderen sind wir – Daten.

Wer diese sammelt und berechnet, kann Herrscher der Galaxis werden – oder zumindest berechnen, wer zum Herrscher gemacht wird, wie die Geschichte weitergeht. Aber nur dann, wenn die Menschen über die Ergebnisse dieser Berechnungen im Unklaren gelassen werden.

Welch aktuelles Bild: Die Menschen, ahnungslos über den Nutzen jener unermesslichen Datenschätze, die in den Serverfarmen der Internetkonzerne liegen. Wer die Daten hat, hat die Macht.

Gut gemeint!

Eine weitere Parallele zum Heute: Die Datensammler sehen sich als die Guten, sie wollen nur das Beste für die Ahnungslosen. Hari Seldon, Entwickler der „Psychohistorik“, sieht den Untergang des galaktischen Reiches vorher.

Seine Wissenschaft aber soll dabei helfen, dass es nach dem Zusammenbruch nicht 30.000, sondern nur 1000 Jahre dauert, bis ein neues Reich entsteht. Damit das letztlich gelingt, täuscht er ausgerechnet jene, die die neue Foundation begründen sollen.

Hat hier jemand „Brexit“ gesagt?

Visionär

Ein Gedanke zur Literatur noch: Orwell und Asimov in Kombination richten einen so visionären wie brutalen Blick auf die 2010er Jahre – in gesellschaftlicher Hinsicht. Der Cyberpunk der 1980er Jahre ergänzte die technischen Visionen, sah den Cyberspace und Virtual Reality und die Korrumpierung des Internets durch Unternehmen vorher. Und dann?

Als das Internetzeitalter und dann das Smartphonezeitalter begannen, man muss es leider sagen, versagte den Autoren die Stimme. Zu groß war offenbar der Innovationsschub, die Literatur ließ sich treiben, anstatt sich der neuen Welt zu ermächtigen: Kaum ein relevantes Werk schaffte den Sprung über die verwirrende Gegenwart hinweg in eine gültige Festschreibung dessen, was diese durchdigitalisierte Welt mit uns aufführt.

Nicht einmal eine Sprache fand sich dafür. Doch das ändert sich, zum Glück, gerade: Eine junge Generation schafft die sprachliche Rückeroberung der Gegenwart aus den Händen der Technologie. Absolut lesenswert: Joshua Cohens „Das Buch der Zahlen“. Ein Satz ist hier, ganz Internet, am Anfang ein Satz und am Ende schon die Kritik ebendieses Satzes.

Kommentare