Cartier-Bresson im Wiener Foto Arsenal: Der Mensch im Fokus
Naples, Italy, 1960
Henri Cartier-Bresson war ein Augenmensch, ein genauer, geduldiger und stiller Beobachter. Der 1908 geborene und 2004 verstorbene Franzose konnte den perfekten Moment abwarten – und erst dann betätigte er den Auslöser seiner Leica-Klein-Bildkamera. Mit dieser hielt er über viele Jahre Menschen und Ereignisse fest. Dementsprechend ist der Ausstellungstitel im Wiener Foto Arsenal auch gut gewählt: "Watch, watch, watch".
Die ab Samstag, 28. Juni, bis 21. September laufende Retrospektive, der es an großartigen Bildern, exklusivem Material nicht mangelt, beleuchtet in unterschiedlichen Räumen, die jeweils ein anderes Kapitel seiner Karriere aufgreifen, sein vielfältiges Werk. "Es gibt nicht einen Henri Cartier-Bresson, sondern sehr viele, weil er sich weltanschaulich und politisch doch sehr verändert hat", sagt dazu der Kurator Ulrich Pohlmann im Rahmen des Presserundgangs am Freitag.
Bildsprache
In der Schau begegnet man also der ganzen Bandbreite seiner Arbeit, seiner Karriere, die in den 1920er-Jahren an Fahrt aufgenommen hat. Er hat sich als Revoluzzer gesehen, sich den Surrealisten angeschlossen, was sich in seinen frühen Arbeiten manifestiert hat - die Bildsprache zu dieser Zeit war auch noch von anderen Künsten, wie etwa der Malerei, der Architektur beeinflusst.
Mitte der 30er-Jahre, in politisch wirren und hitzigen Zeiten, legte Cartier-Bresson seinen Fokus vermehrt auf die Fotoreportage - er berichtete von der spanischen Front oder den Krönungsfeierlichkeiten in Großbritannien. Während seiner surrealistischen Phase hatte er sich noch ganz auf das Einzelbild fokussiert, für seine Reportagen musste er umdenken - in Bildserien denken.
West Berlin Wall, Germany, 1962
Zweiter Weltkrieg
Nach seinem gelungenen Fluchtversuch aus deutscher Kriegsgefangenschaft fotografiert er 1945 in Dessau die Rückführung sogenannter "Displaced Persons". Diese Arbeit markiert den Beginn seiner internationalen Karriere als Fotojournalist. Seine Reportagen zeigen kulturelle und weltpolitische Schlüsselereignisse wie Gandhis Beisetzung (1948), das Ende der Kuomintang-Herrschaft in China (1949) oder das Leben im geteilten Berlin (1962). Als erster westlicher Fotograf dokumentierte er 1954 das Leben in der Sowjetunion nach Stalins Tod.
Coronation of King George VI, London, England, 12 May 1937
Porträtist
Zugleich war der Meister der spontanen Alltagsszene, der vermeintlich alltägliche Menschen in den Mittelpunkt rückte, immer auch Porträtist der Ausnahmepersönlichkeiten, der Coco Chanel oder Henri Matisse vor seiner Kamera hatte. Auch diese prominenten Motive werden jedoch nicht im Studio inszeniert, sondern in ihrem natürlichen Habitat.
Christine de Grancy
Einen gänzlich anderen Weg als der Kollege hatte indes die erst im März verstorbene österreichische Fotografin Christine de Grancy eingeschlagen, wenngleich die gebürtige Brünnerin den französischen Kollegen als Vorbild sah. Ein von der Fotografin in Salzburg geschossen Bild, das Cartier-Bresson zeigt, dient als Bindeglied, als Schanierl der beiden Ausstellungen.
Seit den 70er-Jahren schuf Christine de Grancy ansonsten ein vielgestaltiges Porträt Wiens zwischen kleiner Nachkriegsrepublik und steinernen Zeugnissen des verflossenen Habsburger-Glanzes. Zur Würdigung de Grancys ist im Foto Arsenal nun die Bilderzählung "Über der Welt und den Zeiten" zu sehen, die sich mit den mythischen Gottheiten und Musen auf den historischen Dachlandschaften der Metropole beschäftigt. Meist grüßen hier die ansonsten nicht sichtbaren nackten Hinterteile der Figuren den Betrachter, während die Fotografin aus der Höhe auf die grafischen, monochromen Szenen am Boden blickt. Flankiert wird dieses Hauptwerk von exemplarischen Eindrücken des weiteren Œuvres der jüngst Verstorbenen.
"Henri Cartier-Bresson. Watch! Watch! Watch!" und "Christine de Grancy. Über der Welt und den Zeiten" von 28. Juni bis 21. September im Foto Arsenal Wien, Objekt 19A, 1030 Wien.
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