Verlorene Gestalten in "Chess": Der Kalte Krieg auf dem Schachbrett

Exzellente Besetzung: Drew Sarich und Mark Seibert beim Spiel.
Von: Susanne Zobl
Tim Rice, der britische Textdichter, der mit Andrew Lloyd Webber „Jesus Christ Superstar“ und „Evita“ schuf, erkannte das Potenzial für einen zündenden Plot im legendären Schachwettkampf zwischen dem Amerikaner Bobby Fischer und dem Russen Boris Spasski 1972. Mit den ABBA-Musikern Benny Andersson und Björn Ulvaeus schrieb Rice in den 1980er-Jahren „Chess“, seine eigene Geschichte über das „Spiel der Könige“ im Kalten Krieg.
Andreas Gergen, der designierte Leiter der Bühne Baden, setzte es im Stadttheater in Szene. Momme Hinrichs hat ihm dafür eine eindrucksvolle Drehbühne geschaffen. Dezente Videoprojektionen zeigen, wo sich die Handlung gerade abspielt, die Vorgeschichte in Budapest 1956 und Wettkämpfe in Meran und in Bangkok. Die Story garniert Weltpolitik mit einer Dreiecksgeschichte.
Der Amerikaner Frederick Trumper wird von Anatoly Sergievsky herausgefordert und gibt auf. Seine Partnerin und Managerin, Florence Vassy, verliebt sich während des Wettkampfs in seinen russischen Gegner und nimmt ihn nach dem Kampf in den Westen mit. In Bangkok tritt Sergievsky gegen einen Russen an, siegt und kehrt zu seiner Familie in die UdSSR zurück.
Rice zeigt verlorene, getriebene Gestalten. Das exzellente Ensemble lässt mit Ausdruck spüren, was diese Figuren bewegt. Aber eben nur spüren. Denn gesungen wird auf Deutsch. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn man die Texte verstehen könnte oder Übertitel hätte.
Die Tonanlage ist so unausgewogen eingestellt, dass man über weite Strecken nur erahnen kann, was gesungen wird. Dass das überhaupt möglich ist, liegt an der exzellenten Besetzung. Drew Sarich zieht als Trumper alle Register zwischen Gelassenheit, Arroganz und einer tiefen Verletzlichkeit. Ärgerlich, dass man Trumpers Rückblick auf seine devastierte Kindheit nur durch die Darstellungskunst dieses Sängers erahnt. Beim Hit „One Night in Bangkok“ ist Sarich in seinem Element und reißt das Publikum mit.
Ann Mandrella betört
Mark Seibert punktet als Sergievsky mit dem silbernen Timbre seiner Stimme. Er zeigt den Schachspieler als echten Nerd, der nur für sein Spiel lebt. Femke Soetenga setzt sich mit ihrer expressiven Stimme als Florence deutlich durch. Wenn sie mit Ann Mandrella, die als Sergievskys Ehefrau betört, das „I know him so well“ auf Deutsch intoniert, versteht man plötzlich jedes Wort.
Der Rest des Ensembles ist mehr als achtbar besetzt. Georgij Makazaria ergänzt ausdrucksstark als russischer Delegierter. Boris Pfeifer überzeugt als durchtriebener Amerikaner, Reinwald Kranner als Schiedsrichter. Der Chor ist gut disponiert. Die sarkastischen Anspielungen der Botschaftsangestellten werden trotzdem von der Musik zugedeckt. Die Balletteinlagen wechseln zwischen Ironie (bei „Merano“) und Mystik. Victor Petrov führt das Orchester in den rein musikalischen Passagen sehr nuanciert. Großer Beifall.
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