Das Massaker von Waco - das Lamm Gottes und seine Krieger

Sie verkauften Baseballkappen mit der Aufschrift God, Guts, Guns. Gott, Mut, Waffen. An ihrem Schießstand war auf einem handgeschriebenen Schild zu lesen: Kinder unter zwölf schießen umsonst.
Am besten gingen die Bullet Bibles. Sahen aus wie gewöhnliche Bibeln, aber innen war ein Hohlraum für Waffen. Perry Cullen und seine Leute machten gutes Geld auf diesen texanischen Waffen-Kirtagen. Perry, dieser seltsame Typ, den niemand richtig ernst nahm. Schmächtig, dicke Brille, Schulabbrecher. Das Einzige, das er richtig gut konnte, waren Bibelzitate. Die hatte sein Vater einst in ihn hineingeprügelt. Was sonst noch für ihn sprach? Die Leute erzählten, es war nicht er selbst, sondern das, was er in den anderen sah, das ihn besonders machte. In seiner Nähe fühlten auch die sich gesehen, denen das Leben bisher nichts geschenkt hatte. Deshalb waren sie bereit, weit für ihn zu gehen. Ihn „Lamm“ zu nennen, ihn als Propheten zu sehen. Ihm ihr Vermögen zu überschreiben, ihre Frauen, Kinder und schließlich ihre Leben zu überlassen.
Vor der Apokalypse
Waco, Texas, 1993. Dem 14-jährigen Roy geht’s nicht besonders. Sein Bruder ist im Irakkrieg, seine Freundin hat ihn stehen lassen, die Mutter, Palliativpflegerin, verbringt all ihre Zeit mit ihren Patienten und für den Vater, den Sheriff, geniert er sich ein bisschen, weswegen er sich heimlich als Delinquent übt: Er bricht Schlösser auf. Als er die scheinbar draufgängerische Jaye kennenlernt, beginnt er, sich für den seltsamen Perry und dessen versiffte Ranch zu interessieren, wo auch Jaye mit ihrer Mutter haust. Gemeinsam mit über 100 anderen, die in Perry einen Abgesandten Jesu sehen. Zu langsam kommt man in Waco drauf, was Perry hier treibt. Er hortet illegale Waffen, baut Tunnel, verspricht Verzweifelten Erlösung – in dem er ihre Frauen und Töchter schwängert.
Bret Anthony Johnstons Roman „We Burn Daylight“ ist an die wahren Ereignisse von 1993 in Waco, Texas, angelehnt. Das FBI stürmte das Hauptquartier der Siebenten-Tags-Adventisten-Sekte rund um David Koresh, nachdem dieser sich monatelang mit seinen schwer bewaffneten Jüngern, die meinten, ihr Anführer werde sie durch die unmittelbar bevorstehende Apokalypse führen, verschanzt hatte. Bei der blutigen Belagerung und der anschließenden Razzia starben die meisten.
Obwohl man sein Ende zu kennen glaubt, liest man diesen Pageturner atemlos. Mittels eines erzählerischen Tricks – ein zunächst Unbekannter gestaltet 30 Jahre später einen Podcast mit Überlebenden – holt Johnston das Damals ins Heute, und es ist gruselig, wie aktuell so ziemlich alles darin ist: Vermeintlich Ausgeschlossene verfallen einem selbst ernannten Propheten. Sie misstrauen dem Staat, horten Waffen, halten das Ende der Welt für nah. Tatsächlich berufen sich heute noch Verschwörungstheoretiker und Waffenfans darauf, dass das FBI damals in Waco weit davon entfernt war, alles richtig zu machen.
„We Burn Daylight“ ist übrigens ein Shakespeare-Zitat aus „Romeo und Julia“: „Wir sollten keine Zeit verlieren.“

Bret Anthony Johnston:
„We Burn Daylight“. Übersetzt von Sylvia Spatz. C.H.Beck.
492 S. 29,95€