Neues von T.C. Boyle: Komasaufen in Nevada

Boulder City, Nevada. Eine glanzlose Kleinstadt mit mittelmäßigen Bars, wo man Country Rock hört, lieblos zubereitete Burger in sich reinstopft, sich mit Bier und Tequila-Cocktails volllaufen lässt und die großkotzigen Demokraten aus der Großstadt leidenschaftlich verachtet. Die einzigen Attraktionen sind der Lake Mead und der Hoover Damm, wegen derer sich vereinzelt Touristen herverirren. Aber eigentlich ist es bloß heiß und staubig und was Terrence’ Mutter einst in die Gegend gezogen hat, lässt sich kurz zusammenfassen: Keine Einkommenssteuer, billige Immobilien.
Als sie stirbt, hat er gerade Dienst. Terrence, auch Terry genannt, ist Assistenzarzt im 450 Kilometer entfernten Los Angeles. Er arbeitet viel, verdient wenig und schlägt sich mit mühsamen Patienten herum. Mit Herbert, der auf der Sicherheitsstation ausrastet und sich den Infusionsschlauch mit den Zähnen herausreißt. Oder der obdachlosen Frances, der Gehirnflüssigkeit aus der Nase rinnt und die trotzdem lieber im Hundezwinger als im Krankenhausbett schläft.
Bald wird Terry das Krankenhaus auch aus ihrer Perspektive kennenlernen – jener des hilflosen Patienten, der unversichert 1500 Euro für eine Fahrt im Krankenwagen blechen muss. Doch vorerst führt er das Leben eines aufstrebenden Großstadt-Arztes und er denkt nicht daran, es aufzugeben. Als er das Haus seiner Mutter samt Schäfermischling Daisy erbt, will er beide so schnell wie möglich loswerden. Eigentlich auch dieses Mädchen, Bethany, das ihn eines Abends in einer Bar in Boulder aufgegabelt hat. Aber erstens ist sie sehr hübsch und zweitens sehr hartnäckig. Sie findet Terry zwar nicht so sexy wie ihren Ex, Jesse, aber dafür ist er bald Arzt. Was für ein Aufstiegsversprechen in diesem White-Trash-Amerika!
T.C. Boyles neuer Roman „No way home“ berichtet von einem sich immer schneller drehenden Beziehungsstrudel, vor dem man den jungen Terry warnen will, wie es Mutters Nachbarin Margaret schon zu Beginn tut. Doch immer wieder zweifelt man als Leser am eigenen Urteilsvermögen.
Eine kleine Schubserei
Denn Boyle treibt seine Story raffiniert aus verschiedenen Perspektiven voran. Eine lebensbedrohliche Komasauferei ist eine kleine Geburtstagsparty, ein versuchter Totschlag eine Schubserei und eine Vergewaltigung klingt aus Sicht des Täters so, dass er eben ein bisschen übertrieben habe. Boyle macht einen damit zum Mittäter, ganz schön hinterhältig.
Routiniert und doch subtil erzählt T.C. Boyle hier die Geschichte einer ebenso gestörten wie unausweichlichen Dreiecksbeziehung. Seine Leibthemen nimmt er eher am Rande mit. Umweltzerstörung und Klimawandel etwa spürt man entlang des langsam austrocknenden Sees, Sucht und Drogenmissbrauch in den wie nebenbei runtergestürzten Margaritas und den Chrystal-Meth-Lines, die dann bloß ein bisschen schlaflos machen. Gerade diese Nonchalance bedrückt gewaltig.
„No Way Home“ wird in der EU gleichzeitig mit der deutschen Übersetzung als englischsprachige Ausgabe bei Hanser veröffentlicht. Der Verlag will damit dem Umstand gerecht werden, dass im deutschen Sprachraum immer mehr englischsprachige Originale gelesen werden.

T.C. Boyle:
„No way home“
Übersetzt von Dirk van
Gunsteren.
Hanser.
368 Seiten.
25,70 Euro