Von „drüben“, nämlich aus der Slowakei, kommt Paulína, sie ist eigentlich da, um Klaras Mutter zu pflegen, die nach einem Schlaganfall auf Hilfe angewiesen ist. Aber der „slowakische Engel“ kann eben alles. Pflegen, kochen, putzen, Party vorbereiten. Klara hat ihr jovial gleich das Du-Wort angeboten und steckt ihr hin und wieder einen Hunderter extra zu. Das macht zwar den Schmerz und die Schuldgefühle darüber, dass Paulína ihre Söhne alle zwei Wochen für 14 Tage allein lassen muss, nicht wett, aber es hilft, über die Runden zu kommen. Denn mit ihrem Gehalt als Krankenschwester würde die Alleinerzieherin in der Slowakei nicht weitkommen. Obwohl nur wenige Stunden entfernt, liegen Welten zwischen der slowakischen Kleinstadt, aus der „Engel Paulína“ kommt und dem wohlhabenden österreichischen Designerhaushalt, in dem sich Klara beruflich selbstverwirklicht, ihr Gatte Jakob seinen künstlerischen Ambitionen nachgeht und wo eigentlich nur die pflegebedürftige Mutter und, ach ja, die zehnjährige Tochter, die jetzt auch noch zu pubertieren anfängt, stören.
„Halbe Leben“ heißt der neue Roman der 1981 in Žilina (Tschechoslowakei) geborenen Autorin Susanne Gregor, die seit 1990 in Österreich lebt und auf Deutsch schreibt. Er erzählt raffiniert, (meistens) subtil und psychologisch einfühlsam vom oft chauvinistischen Blick Österreichs auf seine östlichen Nachbarländer und von der Ungleichheit zweier Frauen, von denen eine, Klara, glaubt, sie habe so etwas wie ein freundschaftliches Verhältnis zu ihrem Pflege-Putz-Koch-Engel, immerhin schenkt sie ihm ja abgelegte Kleider.
Obwohl Paulínas sonderbare Rolle beim tödlichen Wanderunfall Klaras ab dem zweiten Satz klar ist, bleibt dieser lebhaft erzählte Roman spannend bis zuletzt. Und natürlich ist man emotional ganz beim slowakischen Engel.