Siân Hughes: Was bleibt, wenn jemand geht

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Siân Hughes' zarter Debütroman über eine verschwundene Mutter.

Was ist wahr, was sind Geschichten, Albträume, Träume? Es ist so eine Sache mit der Erinnerung an die Kindheit, vor allem an diese Kindheit.

Marianne ist acht Jahre alt, als die Mutter aus der Haustüre geht, „irgendwann am Nachmittag“, und nicht wiederkommt. Joe, der Bruder von Marianne, ein Baby, brüllt immer lauter. Und die Leiche der Mutter wird nie gefunden. „Ich erinnere mich an ihre kühle Hand, die meine von den Pusteln weghielt“, erzählt Marianne als erwachsene Frau. „Dabei weiß ich, dass sie längst fort war, als ich die Windpocken bekam.“

Aber warum ist sie verschwunden? „Perlen“, der Roman von Siân Hughes, erzählt die Spurensuche aus der Sicht von Marianne langsam und vorsichtig. Zwei Schritte vor, einer zurück.

Die Möglichkeit

„Wenn eine nahestehende Person in den Fluss geht und nie mehr auftaucht, bedeutet das, dass diese Möglichkeit auch für uns andere offensteht“, meint Marianne. Doch sie entscheidet sich anders. Weil es ihre Tochter gibt, die sie eines Nachts entdeckt, wie sie ihren Polster zerschneidet und fantasiert. „Aber ja, es gibt eine Vorgeschichte von Wahn“, sagt Marianne zum Notarzt. Die Erinnerung an ihre Mutter taucht in solchen Situationen wieder auf. Nach und nach wird die Figur von Mariannes Mutter klarer erkennbar, der Grund, warum sie gegangen sein könnte.

„Perlen“ ist der erste Roman von Siân Hughes, 1965 geboren. „Es hat mein ganzes Erwachsenenleben gebraucht, ihn zu schreiben“, sagt die Autorin. Sie wuchs in dem kleinen Dorf in der englischen Grafschaft Cheshire auf und lebt seit dem Tod ihrer Mutter wieder hier. In diesem Dorf spielt auch „Perlen“. Die Figuren hat sie sich noch in ihrer Schulzeit ausgedacht, in ihren 20ern kam die Handlung dazu. Und dann schrieb sie um, mehrmals. Der Roman über Trauer und Trost kam auf die Longlist für des Booker Prize 2023.

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Siân Hughes:
„Perlen“  
Ü.: Tanja Handels. 
Dumont.
272  Seiten.
23 Euro.