Georgi Gospodinovs Vaterbuch ist zum Heulen schön

Was bedeutet der Tod der Eltern? „Wenn auch der letzte Mensch fortgegangen ist, der sich an uns als Kinder erinnert, gibt es uns dann noch?“
„Halb so wild“, sagte Georgi Gospodinovs Vater oft. Unter anderem, als er seine Krebsdiagnose erhielt. Schmerz ertragend, wie er das immer gemacht hatte. Wie der Vater, so der Sohn: nur keine Wehleidigkeit. Und so beginnt Gospodinovs „Der Gärtner und der Tod“ mit einer scheinbar lapidaren Feststellung. „Mein Vater war Gärtner. Jetzt ist er ein Garten.“
Gospodinov, 1968 in Bulgarien geboren, erzählt in diesem sehr persönlichen Buch vom Abschiednehmen. Eigentlich eine Zumutung: „Als ich klein war, suchte ich mir in der Bibliothek nur die Bücher aus, die in der ersten Person geschrieben waren, weil ich wusste, dass in ihnen der Held nicht sterben würde.“ Diese Geschichte aber lässt sich nicht austricksen, ihr Held, der Vater, stirbt, und zwar schon in der Mitte. Überleben wird der Garten, der ihm, nach der ersten Krebsdiagnose, noch 17 Jahre geschenkt hatte und den er noch im Alter von 79 Jahren bewirtschaftete, oft bis an seine körperlichen Grenzen gehend.
Der Vergänglichkeit zuvorzukommen versuchte der Vater sein Leben lang. Die Familie zog oft um. Der Vater grub die Blumenzwiebeln stets aus und neu ein. Von seinen dunkelblauen Lieblingstulpen trennte er sich nie. Und er klagte nie. Bloß einmal im Jahr, am 9. September, ereilte ihn regelmäßig eine geheimnisvolle Zahnfleischentzündung, wegen der er nicht an der verpflichtenden kommunistischen Militärparade teilnehmen konnte. Er saß lieber auf seinem Balkon und grillte Paprika.
„Der Gärtner und der Tod“ ist ein herzergreifendes Buch von überwältigender sprachlicher Schönheit. Auch Icherzähler Gaustín aus dem grandiosen Schelmenroman „Zeitflucht“, für den Gospodinov 2023 den Booker-Preis erhielt, kommt vor: „Es gibt nur Kindheit und Tod“. Lieber als vom Tod spricht Gospodinov von Kindheit, und so ist dieses Abschiedsbuch voller Erinnerungen, Wehmut, Witz und Trost: Wenn leichter Frühlingsnebel einsetzt, irgendwo ein Kuckuck ruft und der Vater aus der Erinnerung herüberruft: „Halb so wild.“

Georgi Gospodinov:
„Der Gärtner und der Tod“
Ü.: A. Sitzmann
Aufbau.
239 S. 25,95 €