Literaturnobelpreisträger Le Clézio über Menschen am Rande der Gesellschaft

Da, wo andere Luxusurlaube machen, auf Mauritius im indischen Ozean, lebt das verwahrloste Mädchen Maureez. Sie ist die Tochter des Fischers Tomy Samson, dessen Boot eines Tages im Meer irgendwo hier in der Baie Malgache verschwunden ist. Maureez, die den gleichen wilden Strubbelkopf wie ihr Vater hat, träumt jeden Tag von ihm. Nur die Träume und eine Münze sind ihr vom Vater geblieben.
Ihren gewalttätigen Stiefeltern entkommt das Mädchen – um noch mehr Gewalt im Kinderheim Cœur saint de Marie zu erfahren. Sie findet Zuflucht in den Bergen bei Imkerin Adèle. Adèle macht Maureez, die sich schon im Kinderchor als Solistin hervorgetan hat, mit einer neuen Gesangsgruppe bekannt. Odetta Holmes, Mahalia Jackson und die englische Sprache bestimmen ab nun Maureez’ Leben. Sie wird auf der ganzen Insel bekannt, ebenso wie die Geschichte ihres auf See verschollenen Vaters.
„Avers“ wie die Bildseite einer Münze heißt die erste von acht Erzählungen im neuen Buch des französischen Literaturnobelpreisträgers Jean-Marie Gustave Le Clézio. „Neues von den Unerwünschten“ zeichnet Porträts von Menschen am Rande. Neben Mauritius leben sie in Peru, im Grenzgebiet zwischen den USA und Mexiko, im Libanon oder in Frankreich.
Auf wenigen Seiten – die Storys sind zwischen acht und 55 Seiten lang – entwirft Le Clézio in schöner, vielleicht etwas altmodischer Sprache ganze Panoramen. Er erzählt von Marwan und Medhi, die in einem zerbombten libanesischen Dorf die taubstumme Hanné kennenlernen, die keine Angst vor Fliegeralarm hat, weil sie den Kanonendonner nicht hört. Er berichtet von Ahmed, dem Gastarbeiter, der sich irgendwo in Frankreich ein Zimmer mit Malik teilt, der Tag und Nacht fernsieht, während Ahmed an seine Frau Oriya schreibt. Es sind scheinbar kleine Geschichten, die Le Clézio erzählt. Sie bergen eine ganze Welt.

J.M.G. Le Clézio:
„Neues von den Unerwünschten“. KiWi
240 Seiten.
24,70 Euro