Jon Fosse: Im dunklen Wald verlor er seinen Weg

Jon Fosse: Im dunklen Wald verlor er seinen Weg
Die jüngste Erzählung des Nobelpreisträgers Jon Fosse geht ziemlich ans Eingemachte.

Deutlich dümmer als an diesem Tag hatte er sich noch nie aufgeführt: An einem Winternachmittag fuhr er blind drauf los, einmal links, einmal rechts, dann wieder links. Einen Grund hätte er nicht nennen können. Er fuhr eine seltsam ausgestorbene Straße entlang. Häuser hatte er schon lang keine mehr gesehen. Aber es musste doch welche geben, denn wozu gab es sonst eine Straße?

Irgendwann landete er auf einem ausgefahrenen Waldweg, setzte auf einem Grashügel auf, konnte nicht mehr vor und nicht mehr zurück. Es begann zu schneien. Er stellte die Heizung im Auto an. Weit und breit kein Mensch. Eigentlich ganz gemütlich. Aber irgendetwas musste er doch tun, bevor es finster würde? Er ging den Weg entlang in den Wald. Und es wurde dunkel. Er verlor den Weg. Und dann war da plötzlich eine Gestalt, ein seltsames Leuchten.

"Ein Leuchten". So heißt die jüngste Erzählung des frischgebackenen Literaturnobelpreisträgers Jon Fosse. Auch, wenn man bisher nicht zu den Fosse-Kennern zählte und nicht wusste, dass religiöse Bezüge im Werk des 64-jährigen Autors so gut wie immer eine Rolle spielen und auch, wenn man nicht wusste, dass der Norweger in seiner zweiten Heimat im niederösterreichischen Hainburg regelmäßig in die Kirche geht: Man spürt, da ist etwas. Etwas Größeres.

Wie man es nennen mag, hängt von der persönlichen Gesinnung ab. Fosses Werk gebe "dem Unsagbaren eine Stimme", begründete die schwedische Akademie in Stockholm die Verleihung des diesjährigen Literaturnobelpreises an Jon Fosse, und das Unsagbare versucht der Schriftsteller nun auch hier mit einfachen, umso eindringlicheren Worten zu beschreiben. Seine Suche nach dem Weg erinnert an die ersten Sätze von Dantes "Göttlicher Komödie": "Es war in unseres Lebensweges Mitte. Als ich mich fand in einem dunklen Walde. Denn abgeirrt war ich vom rechten Wege."

Ganz, wie es hier nun Fosses Erzähler widerfahren ist. Er ist allein im Wald. Die leuchtende Gestalt, der er zunächst begegnet, ist nicht auskunftsbereit. Ebenso wenig wie das Paar, dem er begegnet, das sich als seine Eltern entpuppt. Die beiden haben auch keine Ahnung, wo es hier rausgeht. Das ist intensiv und geht auf wenigen Seiten ans Eingemachte. 

Jon Fosse: Im dunklen Wald verlor er seinen Weg

Jon Fosse:
„Ein Leuchten“
Übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel. Rowohlt.
78 Seiten.
22,70 Euro