John Irving: Ein Roman wie ein Nachhausekommen

Da sind sind sie wieder, die alten Bekannten. Die Gespenster, die Ringer, die Mütter ohne Männer. Um sie herum: Geheimnisse. Irvings lebensbegleitende Themen, zum Großteil autobiografisch. Die Suche nach dem unbekannten Vater und die frühe sexuelle Erfahrung mit einer älteren Frau gehören, so wie das Ringen, zu Irvings Leben und zu seinem Erzähluniversum.
Neu ist diesmal das Thema Skifahren. Auf der Suche nach seinem Erzeuger findet Protagonist Adam einen Schauspieler, den seine Mutter Rachel, genannt Little Ray, einst in Aspen kennengelernt hat. Little Ray ist Skiprofi und lebt mit einer Pistenretterin in Vermont. Das Vatergeheimnis verbirgt sie vor Adam, der bei seiner Großmutter lebt, die ihm Moby-Dick vorliest. Seine Cousine Nora und deren Freundin werden zu lebenslangen Bezugspersonen, ebenso wie der nur 1,45 Meter große Englisch-Professor, den Adam als Ehemann für seine Mutter aussucht. Die beiden heiraten tatsächlich, bleiben einander ihr Leben lang verbunden, auch, als der kleine Mann zur kleinen Frau wird. Eine ungewöhnliche, liebevolle Familie.

John Irving:„Der letzte Sessellift“. Übersetzt von Anna-Nina Kroll und Peter Torberg. Diogenes. 1088 Seiten. 38,50 Euro
Auch abseits des Plädoyers für sexuelle Toleranz ist Irvings fünfzehnter Roman, der sich über eine Zeitspanne von 80 Jahren erstreckt, extrem politisch. Vietnam, Ronald Reagan und sein fragwürdiger Umgang mit Aids werden ausführlich besprochen. Irvings jüngstes Opus magnum ist aber nicht nur Botschaft, sondern auch Unterhaltung. Komisch, grotesk und natürlich ein bisschen Wienerisch: Bei einer Hochzeit spielt ein Anton-Karas-Wiedergänger Musik aus dem „Dritten Mann“. Dieser Roman ist wie ein Nachhausekommen in einen Erzählkosmos, den Irving-Fans seit Jahrzehnten kennen und lieben. Alle anderen finden ihn womöglich anstrengend.