In ihm zwitschert die Vogelschar

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Rom sehen und nicht sterben. Peter Wawerzinek über sein Leben in Rom und seine Krebserkrankung. Eine umwerfend schöne Liebeserklärung an das Dasein.

Über Rom schreiben, wie es die „vielen Schreiberlinge“ vor ihm getan hätten, wollte er nicht. Hat er auch nicht. Peter Wawerzinek hat einen „Romolog“ geschrieben, eine Ode der anderen Art. Er schreibt von seiner ersten Annäherung an Rom, wo er zu bleiben beschließt, der Überwindung seiner Magenkrebs-Erkrankung, der Rückkehr nach Rom und der Liebe. Denn nach dem Satz „Es ist Krebs“ kommt der Satz „Es ist Liebe“. „Fühl dich umromt“, ruft er, rominiziert er. „Rom sehen und nicht sterben“ ist eines der schönsten Bücher des Jahres.

Drei Jahre hat Wawerzinek in Rom gelebt, erst als Stipendiat der deutschen Akademie, später schreibend in einer kleinen Wohnung im Viertel Trastevere, liebevoll Trostwerdemir genannt. Mit Schreibtisch, Feldbett, Herd, wo er Gemüsesuppe kocht und die Vögel beobachtet. Stare und Möwen. Seine Beschützerin, die Möwe Gabbi, die er von der Ostsee kennt, sitzt auch hier auf jedem Dach.

Bis der Krebs kommt. „Hausfriedensbruch“ in seinem Körper begeht. Doch es wird ihm nicht gelingen, des Autors „frohe Lebensfahrt“ zu stoppen, ihn „mit sich untergehen“ zu lassen. „Ich sage vor allem, dass ich nicht an ihm sterben will, noch lange nicht Feierabend ist, Leute.“

Musikalisch, poetisch, sinnlich, sprachverliebt ist dieses Schreiben. Begleitet von Goethe und Hölderlin, von Matthias Claudius und von Albert Camus. Von der Großmutter Gedichteschatz. Von der Musik von Led Zeppelin und Jimi Hendrix, zu der er tanzt; von Frank Zappa, und Strawinsky, die er hört, wenn er schreibt. Rhythmisch, oft atemlos, ohne Personalpronomen, dann wieder staunend und detailverliebt. Sprachspielerisch, oft schnoddrig. Als er nach einem Schwächeanfall allein das Spital verlassen, abhauen will, sagt die Schwester: „Nixda“, und „Pusteblume, Schätzchen“.

Wawerzinek hat Horror vor allem, was nach Heim riecht. Er hat seine Kindheit im Heim verbracht. Im autobiografischen Roman „Rabenliebe“ (für einen Auszug daraus bekam er 2010 den Bachmannpreis) schreibt er darüber, wie die Eltern ihn und seine Schwester als Kleinkinder allein zurücklassen und in den Westen gehen. Die verwahrlosten Geschwister werden erst nach fünf Tagen gefunden, kommen ins Heim. Ein Trauma fürs Leben. Er bleibt ein „ewiges Kinderheimkind“.

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Peter Wawerzinek:
„Rom sehen und nicht 
sterben“
Luchterhand.
224  Seiten.
25,95 Euro

Vatikan? Vatis Kahn!

Diesem Krebs aber, dem will er sich nicht ergeben. Benennt ihn um, nennt ihn Krätze, oder Min Krätz. So, wie er aus der Spanischen die Panische Treppe, aus dem Vatikan Vatis Kahn (samt Sixtinischer Forelle), aus dem Kolosseum das Klosseum macht. Weder Spleen oder bloßes Wortspiel, sondern Überlebensstrategie ist das. „Hilft mir, in jeder Fremde zurechtzukommen.“

Auch das Schreiben hilft, seine Not-itzen, ebenso wie der Besuch am Grab des Dichters John Keats – Keats, klingt ja auch wie Krätz oder Krebs.

Von Wawerzinek, diesem außergewöhnlichen, sinnlichen Anti-Schreiberling, diesen unfassbaren Dichter, will man sich „umromen“ lassen, mehr noch, sich seine Art, das Leben zu lieben, zeigen lassen.

Als der Krebs geht, ist die Liebe da. Er kehrt zurück nach Rom, flaniert mit seiner Liebsten vorbei an Pappelbäumen, deren Baumwolle der Wind durch die Luft trägt und prophezeit: „... es wird an dem Tag, an dem ich zu Grabe getragen werde, schneien, ohne dass Winter herrschen muss.“

Zuvor aber zwitschert die Vogelschar wieder in ihm, überlagert wie die Liebe alles andere. Wie er über die Stare schreibt, die von den umliegenden Olivenhainen in der Dämmerung zu den Ufern des Tibers kommen, ist umwerfendes Leseglück.

„Erlebe absolute Schönheit“, die Flugschau der Stare ist ein „Gesamtkunstwerk“: „Juble, taumle, vibriere“.