Clarice Lispector: wie Kafka, nur ärger

Schon einmal ein schlechtes Gewissen gehabt, weil Sie ein Insekt getötet haben? Clarice Lispector macht einen ganzen Roman daraus.
Wobei das eine etwas vereinfachende Erklärung für diesen beunruhigenden, schwer zugänglichen Roman ist.
Die Handlung von „Die Passion nach G. H.“ ist dünn. G. H., eine begüterte Bildhauerin aus Rio, wandelt durch ihr weitläufiges Apartment und betritt die Kammer ihres schwarzen Dienstmädchens, das soeben, ohne Angabe von Gründen, gekündigt hat. Das Zimmer ist aufgeräumt und kahl, bis auf eine merkwürdige Zeichnung an der Wand. Die Umrisse zweier nackter Körper und eines Hundes.
Daneben der Kleiderschrank, in dessen Halbdunkel sich eine Kakerlake bewegt. Die unerwartete Konfrontation mit dem plötzlichen Leben in der kargen Kammer löst weniger Grauen oder Mitleid mit dem Tier, vielmehr Überlegungen über das Ich und den Anderen, über die Existenz an sich aus. „Da, ehe ich verstand, bekam ich ein graues Herz, so wie man graue Haare bekommt.“
Clarice Lispectors erstmals 1964 veröffentlichter und nun neu übersetzter Roman gilt als südamerikanisches Pendant zu Kafkas „Verwandlung“. Ein befremdliches, sprödes, stellenweise faszinierendes Buch. 1920 geboren, wuchs Lispector im Nordosten Brasiliens auf, arbeitete als Lehrerin und Journalistin. Schon ihr erster Roman „Nahe dem wilden Herzen“ war äußerst unkonventionell. Sie starb 1977 mit 56 Jahren in Rio de Janeiro.

Clarice
Lispector:
„Die Passion nach G. H.“ Luchterhand. 224 S., 24,95 €