Das Buch wird seit Monaten in den deutschen Medien beworben. Um die Vorgänge in den Redaktionen des Verlags Axel Springer, insbesondere das Verhalten des ehemaligen Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt, soll es gehen. Ihm wird ebenfalls übergriffiges Verhalten und zudem die Inanspruchnahme sexueller Gefälligkeiten durch Mitarbeiterinnen nachgesagt. Stuckrad-Barre war jahrelang Autor beim Springer-Verlag, also so etwas wie ein Insider.
Heißt das, dass dies ein verlässlicher Tatsachenroman ist? Der guten Ordnung halber stellt der Autor eingangs fest: „Dieser Roman ist in Teilen inspiriert von verschiedenen realen Ereignissen, er ist jedoch eine hiervon losgelöste und unabhängige fiktionale Geschichte.“
Und das ist die Story: In Berlin bewirbt sich eine junge Frau bei einem großen Fernsehsender und erzählt dem neuen Chef offenherzig aus ihrem Leben. Zwanglos schlägt er ihr gleich einmal vor, demnächst „Citizen Kane“ miteinander anzuschauen, rein beruflich natürlich. Er zeigt ihr Bilder von seinen Kindern, seinem Hund, erzählt vom früheren Leben als Kriegsreporter (was auch Reichelt war). Die arglose Frau ist begeistert.
Ungefähr zur selben Zeit erwacht in den USA die #MeToo-Bewegung. Auch in Europa reden bald alle davon. Stuckrad-Barres Protagonist hält es indes für angemessen, nachts per SMS die Frage „Noch wach?“ an seine Mitarbeiterin zu schicken.
Detailliert schildert der Autor in Folge die weiteren Affären und den Machtmissbrauch des Mannes sowie den Boys-Club im Medienhaus, der die schützende Hand über ihn hält.
Abgesehen von der medialen Inszenierung ist dieses Buch sehr am Puls der Zeit. Das Spiel mit Dichtung und Wahrheit hat zwar Goethe erfunden, aber derzeit scheint es das Gebot der Stunde zu sein. Stuckrad-Barre geht clever damit um: Lange Zeit ist sein Erzähler Beobachter, ab Mitte des Romans wird er zum Akteur.
Ob dieses Buch mehr Wahrheit als Dichtung enthält, das kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Ob es literarisch wertvoll ist? Jedenfalls nicht so unwertvoll, wie man es sich angesichts des unsympathischen Spektakels rundherum beinahe wünschen würde. Der Mann kann schreiben und trifft den Ton. Alles sehr ungustiös. Aber das ist wohl tatsächlich die Wahrheit.
Julian Reichelt lässt jedenfalls juristisches Vorgehen gegen den Roman prüfen. Klingt fast, als gehörte das auch zur Inszenierung.