Das Leben hat seinen Preis

Noch nie ist Della ein Weißer untergekommen, „der so wenig davon hat, ein Weißer zu sein“. Jack ist einer, der mit dem verschwendeten Leben schon früh begonnen hat.
Gilead, eine Kleinstadt im Mittleren Westen der USA. 1950er-Jahre. Rassentrennung. Als die schwarze Lehrerin Della den weißen Herumtreiber Jack trifft, hält sie ihn für einen Priester, weil er einen dunklen Anzug trägt und eigentlich ganz manierlich aussieht. Tut er aber nur, weil er zum Begräbnis seiner Mutter wollte. Er wird’s wieder nicht nach Hause schaffen.
Jack, Protagonist des gleichnamigen Romans, ist der verlorene Sohn eines Pastors. Er arbeitet beharrlich an der Selbstzerstörung. Hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser und versäuft den Lohn gleich wieder. Einmal ist er Schuhverkäufer, dann wieder Vortänzer in Dancehalls. Charmant ist er ja. Kann sich benehmen, kennt sich mit Lyrik aus, weil er viel Zeit in der Bibliothek verbringt, wo er den einen oder anderen Gedichtband mitgehen lässt. Die Bibliothekarin sieht’s ihm nach. „Das Leben, das ich führen möchte, hat seinen Preis. Aber ich bin im Grunde harmlos.“
Irgendwo in Iowa
Nach dem biblischen Ort Gilead nennt Marilynne Robinson den Schauplatz ihres vierbändigen Romanzyklus, angesiedelt irgendwo in Iowa. „Gilead“, „Zuhause“ und „Lila“ hießen die Vorgängerromane. Der erste wurde 2005 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Barack Obama liebt Robinsons Bücher, er hat seine erklärte Lieblingsautorin 2015 sogar für die New York Review of Books interviewt. Man kann, muss aber nicht so viel wie Obama von Marilynne Robinson gelesen haben, um von „Jack“ hingerissen zu sein. Allerdings wird man alles andere lesen wollen, wenn man „Jack“ atemlos verschlungen hat. Obwohl auf den 382 Seiten nicht viel passiert. Im ersten Viertel unterhalten sich Jack und Della nachts auf dem Friedhof buchstäblich über Gott und die Welt. Hamlet, Lyrik von Milton, und ihre Predigerväter, denn auch Della ist die Tochter eines Pastors. Eigentlich geht’s ums große Ganze. Sinnfragen. Leben, Tod und wozu das alles. Aber man grübelt sehr zart. Mit einem Hauch Komik. Den braucht die ausweglose Situation der beiden auch.
Er will sie verschonen von seiner jackschen, jackhaften, jackesken Art. Sie aber will nicht sich, sondern ihn vor sich selbst retten: „Ginge die Welt zu Ende, wäre nichts mehr von Bedeutung, was für Sie von Bedeutung ist. Sie müssten dann nicht mehr alles mit sich herumschleppen.“
Frauen, die Männer retten wollen: Eine (zu) oft erzählte Geschichte. Diese geht durch. Die Story von Della und Jack, sie ist hinreißend.

Marilynne Robinson:
„Jack“. Aus dem Amerikanischen von Uda Strätling. S. Fischer.
384 S. 27,50 €. KURIER:Wertung: Fünf von fünf Punkten