Bachmannpreis: „Wou g’heastn du hi?“ ging „direkt in Herz und Hirn“

BACHMANN PREIS: ERÖFFNUNG DER TAGE DER DEUTSCHSPRACHIGEN LITERATUR: NATASCHA GANGL (AUT)
Am zweiten Lesetag in Klagenfurt zeichnete sich eine Favoritin ab.

Der Freitag begann in Kärnten mit Lob und einem Eklat. Außerdem zeichnete sich eine Favoritin ab. Die Bandbreite an Texten – von Fragen zu Zeitgeschichte über den Bericht einer Gewalterfahrung bis zur Gesellschaftssatire – war groß.

„Was ist das für ein Ort – fia a Uat?“, fragte die Steirerin Natascha Gangl, die auf Einladung von Brigitte Schwens-Harrant den Text „DA STA“ vortrug. Geboren 1986 in Bad Radkersburg, unterrichtete sie am Institut für Sprachkunst der Angewandten Wien und an der schule für dichtung – man hörte die Erfahrung in Inhalt und Vortrag. Ihre Performance begeisterte Jury wie Publikum. Und sie forderte. Bei Sätzen wie „Wou g’heastn du hi?“ brauchten vor allem die Nicht-Österreicher Übersetzungshilfe. Der Hintergrund ist ein ernster. Gangl mischte Mundartphrasen mit der Geschichte der Steiermark, mit Fragen nach Zugehörigkeit, Vergangenheit und Kriegsverbrechen. Die Schweizer Juroren waren trotz sprachlicher Herausforderung begeistert, für den Juryvorsitzenden Klaus Kastberger ging der Text „direkt in Hirn und Herz“. Beeindruckt war auch Brigitte Schwens-Harrant: Sie hatte den Text mehrmals gelesen und bei jedem Lesen Neues darin gefunden. Er stelle sowohl sprachlich als auch inhaltlich Fragen nach Zugehörigkeit: „Stehst du auf der richtigen oder der falschen Seite? Ein Laut sagt alles.“

Ein Disput entfachte sich um den Kommentar von Mithu Sanyal zur deutschen Erinnerungskultur. Kurz wurde es laut zwischen ihr und Kastberger, der ihr Zitat des Publizisten Max Czollek „in Deutschland wissen wir vor allem eines über die Juden, nämlich, dass wir sie umgebracht haben“ nicht goutierte. Der zweite Text des Tages stammte von Sophie Sumburane aus Potsdam, die auf Einladung von Mithu Sanyal „Sickergrubenblau“ über den Missbrauch einer jungen Frau, der K.O.-Tropfen verabreicht wurden, las. Manche fanden ihn erzählerisch zu konventionell. Mara Delius wies darauf hin, dass „thematisch wichtig“ nicht gleichbedeutend mit „literarisch interessant“ sei.

Groteske Archetypen

Die in Wien lebende deutsche Autorin Josefine Rieks, Jahrgang 1988, las aus ihrem kommenden dritten Roman, einer Gesellschaftssatire. Die Reaktionen waren gemischt. Der Witz der „grotesken Archtetypen des Zeitgeistes“ (Mara Delius) nütze sich rasch ab, waren sich etwa Kastberger und Schwens-Harrant einig.

Der Nachmittag begann mit dem promovierten Physiker Thomas Bissinger aus Konstanz, der auf Einladung von Mara Delius einen Auszug aus seinem historischen Romanprojekt „Ehrenfest“ las. „Ein Text von einer Eindringlichkeit und einer Lakonie, der von großer literarischer Begabung spricht“, schwärmte Philipp Tingler, Mara Delius lobte den „gigantischen Rechercheaufwand“ und Mithu Sanyal fand es „großartig, wenn sich Literatur große Aufgaben gibt.“

Kay Matter, 27, hat Wurzeln im Piemont, lebt in Berlin und Zürich und hat bereits einen Roman veröffentlicht. In Klagenfurt las er auf Einladung von Thomas Strässle: „Doppelzweier Leichtgewicht“ über einen nonbinären Protagonisten – der erste Text beim diesjährigen Wettbewerb, der sich mit dem zeitgeistigen Thema Zuschreibungen beschäftigte. Die Kritik reichte von „gut beobachtet“ bis zu „konventionell“ und „leichtgewichtig.“