Auch diesmal geht es im Grunde um die Frage: Wer bin ich? Alison macht sich früh Gedanken über ihre Familie und analysiert sich und ihre Umgebung. Noch weiß sie nichts von den Depressionen der Mutter und den Geheimnissen ihres Vaters, doch sie sorgt sie um sie. Die Konfrontation mit dem Tod ist durch das elterliche Bestattungsunternehmen normal, ebenso Fragen nach Seele und Jenseits. „In der Sonntagsschule erklärte man uns, dass unser Kater keine Seele habe. Aber warum? Er hatte doch Selbstbewusstsein.“ Alison ist kaum zehn Jahre alt und beneidet den Kater, denn er hat, weiß Gott, mehr Selbstbewusstsein als sie.
Der Weg, Selbstzweifel, vor allem aber die Angst vor dem Tod zu überwinden, ist der Sport. „Ungefähr zu dieser Zeit wuchs meine Faszination für körperliche Unbesiegbarkeit.“
Sie beginnt zu laufen, lange bevor es eine Sportswear-Industrie gibt. Unisex-Kleidung kommt erst in den 70ern auf den Markt. Nach Yoga in den 80ern, lange, bevor jeder eine Yogamatte durch die Gegend schleppte und ständig an einer Wasserflasche nippte, folgen in den 90ern Ausrüstungs- und Trainingsorgien rund ums Bergsteigen und Radfahren. Das Outlet des Outdoor-Bekleidungsherstellers Patagonia wird zu ihrem Mekka, in einer Fleecejacke dieser Marke wird sie „ein Jahrzehnt“ verbringen.
Bechdel zeichnet mit ihrer (Sport)Autobiografie auch eine Geschichte der USA: Die 60er waren eine Welle der Befreiung, doch für ihre Eltern kam diese Befreiung zu spät. Und für das Mädchen Alison etwas zu früh. „Wir zappelten gemeinsam in der Brandung.“ Denn: „Ich hatte befürchtet, Mädchen mehr zu mögen als Jungs, aber das soziale Chaos war schon so kompliziert genug – ich konnte jetzt nicht auch noch homosexuell sein.“
Neben Sport wird die Literatur zur Sinnstifterin, Alison ist „Kettenleserin“, fühlt sich von Emerson und Thoreau verstanden. Jack Kerouacs Roman „Dharmajäger“, eine spirituelle Sinnsuche, wird ihr zum Kultroman. Kerouac und Bechdel teilen ähnliche Leidenschaften: Buddhismus, Sex, Alkohol.
Im Laufe ihres Lebens wird sie sich „wie Houdini aus einem selbstauferlegten Zwang nach dem anderen befreien“. Freilich, „in Form bleiben“ gehört weiterhin dazu. Die Sinnsuche ist vielleicht nie beendet.
Zart und selbstironisch ist dieses Buch. Herzergreifend.