Unvernunft unter der Perücke: Belvedere zeigt "Mehr als Charakterköpfe"

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Das Museum will dem weltberühmten Werk von Franz Xaver Messerschmidt beikommen – und präsentiert es etwas gar unterkühlt.

Es muss ja nicht gleich ein riesiger Gipskopf als Selfie-Spot sein. Es gäbe allerdings gewiss Kuratoren, die einen solchen aufstellen und das als „zeitgemäßen Zugang“ zu den „Charakterköpfen“ des Bildhauers Franz Xaver Messerschmidt verkaufen würden.

Die seltsamen Porträtbüsten mit ihren grotesken Gesichtern, ab 1771 geschaffen, fordern zum Posieren und Grimassenschneiden förmlich heraus. Bei den Besucherinnen und Besuchern des Belvedere sind sie seit jeher ein Renner, weswegen auch nur acht der insgesamt 16 Büsten, über die das Museum verfügt, in der neuen Sonderschau im Unteren Belvedere ausgestellt sind: Der Rest blieb im Oberen Belvedere, bei den anderen Hausheiligen Klimt und Waldmüller.

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Blöd dreinschauen!

Im Unteren Belvedere soll das Publikum aber „mehr als Charakterköpfe“ zu sehen bekommen – so verheißt es der Untertitel der Schau. Denn der Schöpfer der exaltierten Büsten war auch ein anerkannter Bildhauer, der etwa ganzfigurige Statuen der Regentin Maria Theresia und ihres Mannes Franz I. Stephan schuf – diese sind nun im zentralen Saal postiert.

Man wolle aber weg von der Idee, dass es „zwei Messerschmidts“ gegeben habe, sagt Kuratorin Katharina Lovecky: Den Künstler, dem die Nachwelt neben vielen Anekdoten auch eine Geisteskrankheit attestierte, möchte sie gemeinsam mit Kurator Georg Lechner „im Kontext seiner Zeit“ zeigen.

Die Epoche, in der der 1736 in Süddeutschland geborene Messerschmidt lebte, war die der aufkeimenden Aufklärung – Wissenschaft und Vernunft hielten ins Denken und in die Gesellschaft Einzug.

Gescheit daherreden!

Messerschmidt stellte den Fürsten Joseph Wenzel I. von Liechtenstein 1773 – im Jahr nach dessen Tod – wie einen modernen Philosophen ohne Perücke und Herrschaftsattribute dar. Parallel rückte Maria Theresias Leibarzt Gerald van Swieten, der sich etwa gegen den grassierenden Vampirglauben einsetzte, in die Riege jener Personen auf, die sich mit einer Büste des Künstlers verewigen ließen.

Mit solchen Detailbetrachtungen öffnet die Schau schöne Fenster zum Geist der Zeit. Es wird aber schnell spürbar, dass sie dafür nicht unbedingt die gesamte lange Raumflucht benötigt, die im Unteren Belvedere zur Verfügung steht.

In dem Fokus auf die historische Aufarbeitung bleiben auch die vielen Echos, die spätere Kunstschaffende (Arnulf Rainer, Tony Cragg, Marc Quinn) zu den Messerschmidt-Köpfen schufen, außen vor. So bleibt der Eindruck, dass die Schau gewiss seriöse Forschungsarbeit nur illustriert – großteils mit Kleinformaten.

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Das Kuratorenduo legt etwa dar, dass die „Charakterköpfe“ von Messerschmidt selbst nie als solche bezeichnet wurden: Der Künstler sagte „Kopfstücke“ dazu (was die Erzählung, wonach dieser Begriff vom 2005 verstorbenen KURIER-Journalisten Herbert Hufnagl für eine legendäre Kolumnen-Reihe erfunden wurde, ein wenig relativiert).

Grotesk, ohne Auftrag

Warum Messerschmidt die Köpfe schuf – ohne Auftrag, teils im edlen Material Alabaster –, bleibt rätselhaft.

Zwar existierten in der Kunst zuvor schon groteske Figuren, und in den Akademien der Zeit wurden Muster herumgereicht, mit denen Künstler den Ausdruck von Emotionen lernen sollten.

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Doch Messerschmidts Köpfe standen außerhalb dieser Tradition. War das Aufflackern künstlerischer Autonomie gar sein bissiger Kommentar zum Akademiebetrieb? Dass er einen versprochenen Professorenposten in Wien nicht bekam, hatte dem Künstler einen Karriereknick beschert – ob auch ein psychischer Knacks damit einherging, wird seither diskutiert.

Auf du und du mit dem Wunderheiler

Dass der Künstler mit dem Arzt Franz Anton Mesmer Umgang pflegte, der mit „magnetisiertem Wasser“ Menschen zu heilen vorgab (und die Vorlage für das englische Wort „mesmerize“, hypnotisieren, lieferte), ließ in der Nachwelt ebenso Zweifel an Messerschmidts rationaler Gestimmtheit aufkommen.

Tatsächlich lieferten sich Vernunft und Unvernunft damals wohl ein heftiges Gezerre – was die Belvedere-Schau wiederum sehr heutig wirken ließe, wenn man sie als etwas größer gedachtes Epochenporträt zur Aufklärung angelegt hätte. Platz dafür hätte es jedenfalls gegeben.

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