„Warum tu ich mir das an, wenn ich den Ausblick nicht genießen kann?“ Das fragt sich Andreas Dorau in seinem neuen Song „Runde um Runde“. Kalt ist ihm in dem knirschenden, uralten Apparat, der seit mehr als einem Jahrhundert Touristen die Stadt von oben zeigt. Und er hat Angst – Höhenangst. Dass der Musiker, der 1981 mit dem Hit „Fred vom Jupiter“ Musikgeschichte schrieb, damit eine Fahrt mit dem Wiener Riesenrad beschreibt, sagt er in „Runde um Runde“ nicht. Klar ist das nur, weil es eines der 13 Lieder auf Doraus neuem Album „Wien“ ist. Der 61-Jährige hat es ganz unserer Hauptstadt gewidmet, wirft damit einen Blick von außen auf die Straßen, Plätze und Menschen rund um den Stephansdom.
„Ich wollte Karl May bleiben"
„Ich romantisiere Wien dabei nicht, wollte keine Stücke über Mozart, Sisi oder das Schloss Schönbrunn schreiben“, erklärt Dorau im Gespräch mit dem KURIER. „Ich wollte Karl May bleiben, der Tourist in dieser Stadt. Deshalb habe ich es auch abgelehnt, für das Album mit Wiener Musikern zusammenzuarbeiten.“
Als Kind war Dorau das erste Mal in Wien, war damals von den Lipizzanern fasziniert, deren Show er sich mit seiner Familie ansah, weil seine Schwester Pferdenärrin war. Er erinnert sich auch an Auftritte im U4 in den frühen 80er-Jahren, in denen Wien noch „eine graue Großstadt“ war. Danach war er einmal für zwei Wochen hier, um Freunde zu besuchen, und kürzlich drei Tage lang für die Recherchen für das Album. Die Idee dazu hatte Dorau, als er während der Pandemie an „Re:Mapping Lübeck“, einem alternativen Stadtführer für Lübeck arbeitete, der interessante Geschichten abseits der Attraktionen in den Fokus rückte und kartografierte.
Für Wien macht er das mit Musik – und zwar gleich mit zwei CDs. Zusätzlich zum Album „Wien“ gibt es eine gleichnamige Bonus-CD. „Die ist entstanden, weil ich eine lange Liste mit Dingen hatte, über die ich schreiben wollte. Anfangs war ich in das Wort Wien verliebt, weil es so einen schönen Klang hat. Das kam in jedem Song vor, was aber zu viel war. Also haben wir die meisten dieser Titel auf eine Bonus-CD gepackt.“
Rauchverbot und Austropop
In den Songs tauchen neben dem Riesenrad zum Beispiel der Prater auf, die Sprechmaschine des Wiener Erfinders Wolfgang von Kempelen, das für Dorau hier viel zu streng kontrollierte Rauchverbot, oder die Nummer der Telefonseelsorge: „Ich fand es spannend, einen Song zu machen, der auf Zahlen basiert, weil einsilbige Worte am besten zu singen sind. Außerdem finde ich als Pastoren-Sohn die Idee der Telefonseelsorge toll, die gleichzeitig auch dieses morbide Flair spiegelt, das man Wien immer nachsagt.“
Ein Song der tönenden Hommage an die Donaumetropole heißt „Austropop“ – obwohl der Hamburger sich mit den Größten dieser Szene nichts anfangen kann. Er mag Hans Moser, Supermax, Andre Heller und Erika Pluhar, Ganymed, Ja, Panik! oder Mwita Mataro und dessen Indie-Band At Pavillon. Aber damals hat ihn weder Wolfgang Ambros noch Rainhard Fendrich interessiert. Und Wanda und Bilderbuch hört er nicht, weil er prinzipiell keinen Rock mag. Auslöser für das Lied war der Begriff an sich: „Ich habe mich immer gefragt, warum das eine Genrebezeichnung ist, wenn die Musik so unterschiedliche Stile hat. Es stimmt ja nicht einmal, dass alle Austropop-Künstler im österreichischen Dialekt gesungen haben.“
Gerne hätte Dorau noch Songs über unsere Mehlspeisen und das „Dritte Mann Museum“ geschrieben, das er großartig findet. Aber zu diesen Themen fand er keinen Zugang, mit dem er zufrieden war. Sein Hauptantrieb ist nämlich immer noch das Spiel mit der Sprache: „In meiner Welt ist ein ideales Stück ein sehr melodiöser Song, der einen Text hat, der nicht doof ist. Ich habe 1981 begonnen, als die Neue Deutsche Welle noch ausschließlich im Underground existierte, was man heute Post-Punk nennt. Da war unser Anspruch, neue Wege für den Umgang mit Texten zu finden und von dem angloamerikanisch geprägten Gesangsstil wegzukommen. Das interessiert mich auch heute noch. Deshalb gibt es von mir Songs, die eine ganze Story erzählen, aber auch repetitive Texte oder welche, die nur Atmosphäre-Tupfer setzen.“
Pappnase Nena
Auf „Wien“ macht sich Dorau wieder alle Spielarten von elektronischem Pop zu eigen, ärgert sich im Interview darüber, dass er immer noch mit der NDW in Verbindung gebracht wird. Immer wieder wird ihm zugeschrieben, einer der Pioniere dieses Genres gewesen zu sein – obwohl sein Superhit „Fred von Jupiter“ nur nebenbei entstand. Damals war er 17 Jahre alt, hatte zwei Singles in der experimentierfreudigen Post-Punk-Szene veröffentlicht und arbeitete auf Einladung seines Gitarre-Lehrers für ein Schulprojekt mit 13-jährigen Mädchen zusammen, die den Text zu „Fred vom Jupiter“ schrieben.
„Ich bilde traurigerweise das Bindeglied zwischen der deutschen Post-Punk-Underground-Szene und dem NDW-Kommerz. Ohne es zu wollen, habe ich mit ,Fred vom Jupiter‘ diese Kommerz-Welle losgetreten. Kurz danach sind all diese Pappnasen wie Nena, Markus und Hubert Kah aufgetaucht, mit denen ich 20 Jahre lang in einen Topf geworfen wurde. Das hat mich zutiefst beleidigt, weil ich keinerlei Ähnlichkeiten von mir mit ihnen sehe und mir auch gar nichts mit ihrer Musik anfangen kann.“
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