Was macht das Reisen zunehmend schwieriger, uninteressanter?
Die Geilheit auf Luxus, der unbedingte Wille, sich von einer Wohlfühloase zur nächsten zu begeben. Der Massentourismus und die ihm verfallenen Massen. Wachstumsnarren und ihr unbedingter Wille, die Natur totzuschlagen. Die unstillbare Gier, rastlos zu raffen und anzuhäufen. Das reicht aber zu keiner Ausrede, um träge sitzen zu bleiben. Noch ist die Welt groß und geheimnisvoll genug, um loszugehen.
Wie sehen Sie grundsätzlich die Entwicklung des Reisejournalismus? Verlagert sich das mittlerweile auf Instagram?
Sorry, ich habe keine Ahnung von der Zukunft, auch nicht von der des Reisejournalismus. Wie auch? Ich bin ja nicht einmal ein Journalist. Aber ich vermute, die Zukunft wird sein wie die bei Zahnärzten oder Friseuren: Die einen können es und die anderen dilettieren. Und Instagram? Ich habe gelesen, dass diese Plattform geschaffen wurde für Leute, die gern und unbedenklich Zeit totschlagen.
Was halten Sie von Travel-Influencern?
Ich kann nichts von ihnen halten, nichts Gutes und nichts Schändliches, ich kenne sie nicht. Ich will meinen virtuellen Konsum in Schach halten, will nicht als PC-Nerd enden. Ich habe eine gehörige Sehnsucht nach einem analogen Leben.
Haben Sie Flugscham? Spielt klimaneutrales Reisen bei Ihren Planungen eine Rolle?
Ich fliege definitiv weniger, und alles, was ich tue, wird vorher gecheckt von wegen Rücksichtnahme auf die Welt. Dennoch habe ich, wie wir alle, Dreck am Stecken, soll sagen, auch mein ökologischer Fußabdruck stinkt. Ich nehme Taxis, ich bestelle online, lasse mir das Essen liefern, trenne nicht konsequent den Müll, kaufe mir mehr Klamotten, als ich brauche, gehe lieber in den Supermarkt, als im Hinterhof einen Gemüsegarten anzulegen. Fazit: Auch ich werde die Welt nicht vor ihrem Erstickungstod retten.
Viele betrachten die Welt nur noch durchs Smartphone. Alles wird fotografiert. Tausendfach. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Die Banalisierung des Alltags ist wohl nicht aufzuhalten. Zehntausend Fotos im Smartphone und nicht eins, das uns länger als eineinhalb Sekunden bewegt. Ich sehe Leute in einem Museum Claude Monets „Seerosenteich“ fotografieren und weitergehen. Das Bild interessiert sie nicht, was zählt, ist der Wunsch, später den „Followern“ zu berichten, dass sie da waren. Wie sagte es William Golding so ätzend: „Heute haben wir viel fotografiert und wenig gesehen.“
Es wirkt immer so, als hätten Sie immer das perfekte Zitat parat. Sammeln Sie Zitate in einem Buch, haben Sie eine Art Zitate-Kartei?
Aber ja, als Schreiber lese ich viel und immer, wenn ich dabei ein fulminantes Wort oder einen rasanten Satz entdecke, kopiere ich ihn in meinen Mac. Wie beschenkt ich mich dann fühle. Und schreibe ich selbst ein Buch, dann schenke ich meine Fundsachen weiter, an die Leserinnen, die Leser.
Das Innehalten, das Einfach- Dasitzen und Bewundern haben scheinbar viele verlernt. Kann man das wieder lernen?
Ich bin doch Reporter, kein Pädagoge. Wer als Erwachsener bewundern erst lernen muss, der hat das Hauptfach „Herzensbildung“ in seiner Jugend versäumt. Wie jene, die in den so modernen Zeiten nicht mehr imstande sind, die vier einfachsten Wörter der Weltgeschichte auszusprechen: „Bitte“ und „Danke“ und „Guten Tag“. Sie dösen lieber virtuell durch den Cyberspace, sie sind mit der ganzen Welt „connected“, nur nicht mit der Wirklichkeit, die sie in diesen Augenblicken umgibt.
Wie reist man richtig, wie bleibt man Reisender und wird nicht zum Touristen?
Ich habe überhaupt nichts gegen Touristen, denn die Urbedeutung dieses Wortes kommt von „Drehung“, von „drehen“: nicht den Bauch, sondern die Füße. Um die Welt zu sehen, um das bisschen Zeit auf Erden dafür zu nutzen, „geistreicher“ zu werden. Wenn sich der Reisende nebenbei noch freundlich und nicht als Herrenmensch aufführt, dann macht er (sie) fast alles richtig. Erlebnisse und Erfahrungen, wir wissen es längst, sind das, was Glücksgefühle in uns auslösen. Kein Glück verschafft: aufs Handy zu glotzen und sich von fünf Millionen Tiktok-Filmchen das Hirn austrocknen zu lassen.
Wie sehr muss man von sich selbst was hergeben, Grenzen überwinden, um an gute Geschichte zu kommen?
Ich bin gewiss obszön neugierig, auch durchaus begabt mit einer Portion Chuzpe. Und natürlich liebe ich es, andere Identitäten anzunehmen, um jemandem auf die Schliche zu kommen. Immer nur „ich“ sein, finde ich ermüdend, ja fad. So spiele ich mich, wenn es die Situation erfordert, als amerikanischer Filmschauspieler auf, als Drogendealer aus Holland oder als Frachtpilot in Afrika. Ich bin meist der Typ, der zufällig herumsteht und teilnimmt. Und andere dazu bringt, zu „beichten“, mich teilhaben zu lassen an ihrem Leben.
Einige Menschen meinen es aber nicht gut mit einem. Was sind die unsympathischsten Wesenszüge des Menschen?
Sehen wir einmal von dem Bedürfnis mancher Zeitgenossen ab, anderen die Köpfe abzuschneiden, dann traue ich mich, zu sagen: Hochmut. Leute, die Kälte produzieren, Frauen wie Männer, die Wärme zu anderen nicht dulden. Ihre Überheblichkeit verrät ihr Herz aus Eis.
Welche Orte, Plätze und Sehenswürdigkeiten, die sie bereits bereist und gesehen haben, waren überbewertet?
So funktioniere ich nicht. Ich bin nicht bei TripAdvisor beschäftigt, wo sie die Welt in „Daumen rauf“ und „Daumen runter“ einteilen. Bin ich an einem Ort, an dem Nähe entsteht und ich etwas von den dortigen Frauen und Männern erfahre, dann bin ich richtig, Und müsste ich dafür im Heustadel übernachten. Ich muss nicht bespaßt werden, ich will Innigkeit, Intensität.
Wie sehr hat sich das Schreiben verändert? Muss man da bereits jedes Wort abwägen, um nur ja niemanden zu beleidigen?
Gewiss, der woke-Irrsinn geht um. Beleidigte Würstchen an jedem zweiten Hauseck. Ambulante Tränensäcke, die auf Biegen und Brechen ihren Traum vom „reinen, fleckenlosen Menschen“ träumen. Von den Widersprüchen und der Komplexität der Wirklichkeit wollen sie nichts wissen. Einfache Menschenkinder, die nach einfachen Lösungen dürsten. Moralisch hochgerüstet und begnadet humorlos. Ihr Alleinstellungsmerkmal: der erigierte Zeigefinger. Das alles kümmert mich als Schreiber nicht. In "Morning has broken" gibt es ein ganzes Kapitel zu dem Thema. Aber ja, ich liebe es zu lästern.
Im Buch "Morning has broken" schildern Sie einen Besuch in Ausschwitz. "Hier lauern tausend Fallen", schreiben Sie. Welche Fallen meinen Sie?
Ich will nur die größte und verführerischste Gefahr erwähnen: "the look at me-grief". Das ist ein teuflisch-englisches Wort, das umständlich ins Deutsche übersetzt sagen soll: Sieh mal, wie mitgenommen ich bin! Achtung, Auschwitz! Achtung, ich bin betroffen! Achtung, Trauermiene anknipsen! Bei Politikern und anderen Würdenträgern kann man das wunderbar beobachten. Derlei Getue geht sagenhaft auf die Nerven. Als ich dort war, habe ich den Ratschlag eines Überlebenden befolgt: "Geh rein, schau hin, lerne und sei still."
Sie haben vor Jahren ein Buch veröffentlicht, dass leider aktueller ist denn je: "Verdammtes Land: Eine Reise durch Palästina". Bitte schildern Sie unseren Leserinnen und Lesern, was Sie damals gesehen, welche Probleme Sie wahrgenommen haben.
Das Problem ist relativ einfach zu verstehen. Seit 75 Jahren vertreibt der israelische Staat via Armee und schwer bewaffneten religiös-rassistischen Siedlern die Palästinenser aus ihrem Land, aus Palästina. Die Bilanz kann sich sehen lassen: Millionen Vertriebene, Aberzehntausende getötet, Aberzehntausende Häuser plattgewalzt, Aberzehntausende Existenzen vernichtet, Abertausende in Gefängnisse – ohne Anklage und ohne Verfahren – verfrachtet. Israel hat zweieinhalb Generationen lang ein Volk kujoniert, gedemütigt, erniedrigt. Jede Untat ein krimineller Verstoß gegen internationales Recht und internationale Vereinbarungen. Das alles, da getrieben von dem grotesken Wahn, dass „Gott ihnen dieses Land geschenkt hat“. Inzwischen haben sich knapp eine halbe Million Siedler – eine klar definierte Missachtung gegen das Völkerrecht – auf palästinensischen Boden eingerichtet. Via Zwangsenteignung, nackte Gewalt, Vernichtung der Olivenhaine und Raub der knappen Wasserressourcen. Ich war Zeuge beispielloser Erbarmungslosigkeit, ich darf ein bisschen mitreden. Das Ziel israelischer Politik ist von bestechender Klarheit: Vertreibung aller Palästinenser, sprich, alles Land zwischen dem Fluss Jordan und dem Mittelmeer soll Israel gehören. Darf ich einen großen jüdischen Philosophen zitieren, Theodor W. Adorno? Er meinte, wundersam klug: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.“ Auf die aktuelle Situation bezogen: Solange Israel – es soll leben und blühen – einem anderen Volk sein Land, seine Heimat und seine Erde stiehlt, solange wird dieses Land nicht Frieden finden.
Wie könnte eine friedliche Lösung aussehen?
Harold Macmillan, der ehemalige englische Premier, wusste es längst: "Es gibt kein Nahost-Problem, denn jedes Problem hat eine Lösung. Im Nahen Osten gibt es keine Lösung und deshalb gibt es kein Problem." Oder der Spruch meines japanischen Zen-Meister: "Das größte Problem der Menschheit ist seine Gier." Dieses Problem haben wir überall auf der Welt, nicht nur im Nahen Osten.
Welche Situation fällt Ihnen spontan ein, in denen Sie dachten: Jetzt ist Schluss. Da komme ich lebend nicht mehr nach Hause?
Ich bin nicht tollkühn, ich überlege mir vorher sehr genau, ob ich in eine Situation reingehe oder nicht. Dass ich zudem noch Baraka, Glück, brauche, versteht sich von selbst. Wird es brenzlig, bleibt auch keine Zeit, um herauszufinden, ob ich da noch heil davonkomme. Der einzige Gedanke, der mich dann beschäftigt: Wo ist der Fluchtweg? Churchill hat es so witzig formuliert: "Es gibt nichts Schöneres, als beschossen und nicht getroffen zu werden." Adrenalin fließt, wie erfreulich.
Sie stellen in ihrem neuen Buch 82 Behauptungen übers Reisen auf. Welche davon ist die dringlichste, jene, die man unbedingt und immer mit einpacken sollte?
Ach, ich habe mich längst von der Ohnmacht der Sprache überzeugt. Meine Sätze sollen wie bunte Pillen wirken, die Vergnügen auslösen, Heiterkeit, auch Melancholie und Hintersinn. Und den Beweis antreten, wie schön unsere Sprache sein kann. Aber "unbedingt" müssen sie nicht sein, sie sind nur ein Angebot.
Der Autor Andreas Altmann hat dem KURIER erlaubt, einige seiner Behauptungen aus dem Buch zu zitieren. Hier eine kleine Auswahl:
- Die Kunst des Reisens, das ist die Kunst, den anderen zu verführen: auf dass er (oder sie) für kurze Zeit ein Freund wird, sein Wissen ausbreitet, mich teilhaben lässt an seinem Leben. Dass wir gemeinsam das "ii kimochi" – so nennen es die Geishas in Japan – herstellen, das gute Gefühl: Wärme.
- Zug fahren. Ich halte still, bin sicher, dass es in meinem Leben augenblicklich nicht schöner werden kann: lesen und dann innehalten, um einem bewegenden Satz nachzufühlen. Mich leicht von ihm betäuben zu lassen. Dann wieder auf das Land blicken und nach Minuten die Augen schließen, um – so ergriffen wie von den verführerischen Zeilen – das Wunder Welt zu verdauen. Es gibt ein Glück, das man nur unbeweglich erträgt. Wie eine Welle schwappt es durch den Körper.
- Indien. Weit hinter dem offenen Fenster sehe ich einen Bauern mit einem roten Sonnenschirm neben seinem Ochsen stehen. Der Kleine lehnt sich an den Großen. Der rote Fleck, der gelbe Himmel, die beiden mitten in der leeren Landschaft. Ich schließe die Augen und fotografiere das Bild. Ein virtuelles Foto, sogleich ziehe ich es auf meine Großhirnrinde, die hungrige Festplatte. Wie die tausend mal tausend anderer Bilder wird es mich nähren bis ans Ende meiner Tage.
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