Meisterschaft ist keine Männerdomäne: Jenny Saville in der Albertina

Meisterschaft ist keine Männerdomäne: Jenny Saville in der Albertina
Die Werkschau zeigt die malerische Virtuosität der Britin, die derzeit den Titel „teuerste lebende Künstlerin“ führt.

„Warum gab es keine großen Künstlerinnen?“ fragte die Kunsthistorikerin Linda Nochlin 1971 in einem Aufsatz, der heute als wegweisend gilt: Er stieß die Tür zu einer kritischen Betrachtung der tief verwurzelten Benachteiligung von Frauen im Kunstbetrieb auf und befeuerte die Hinwendung zu mehr Frauen in Museumssammlungen und Ausstellungsprogrammen.

Jenny Saville hat Nochlin ein Bild gewidmet: Es hängt in der Werkschau der 1970 geborenen Britin, die bis 29. 6. in der Pfeilerhalle der Albertina zu sehen ist. Wie viele Exponate in der Schau ist es großformatig, dynamisch gemalt und wiederholt eine in der Kunstgeschichte vielfach erprobte Form: Die „Pietà", also jene Szene, in der der tote Christus, vom Kreuz abgenommen, von seiner Mutter Maria betrauert wird. Bei Saville überlagern sich allerdings viele Figuren, die einander halten, der Kontext ist nicht klar religiös, es könnte auch allgemein um Innigkeit gehen.

Meisterschaft ist keine Männerdomäne: Jenny Saville in der Albertina

Nicht skandalös, eher klassisch

Saville, die in den skandalfreudigen 1990er Jahren den „Young British Artists“ oder YBAs zugezählt wurde, erfüllt heute alle Kriterien einer „großen Künstlerin“: Ihre Bilder haben große Ambitionen, werden in großen Ateliers gemalt (die Künstlerin unterhält gleich zwei davon) und von einer großen Galerie, dem weltumspannenden Gagosian-Konzern, in aller Welt verkauft.

Ein Auktionsergebnis von 12,4 Millionen US-Dollar, das 2018 für das Bild „Propped“ erzielt wurde, machte Saville zur „teuersten lebenden Künstlerin am Auktionsmarkt“, wobei das Preisniveau noch deutlich unter dem männlichen Counterpart Jeff Koons (91, 1 Millionen US-$ für „Rabbit“, 2019) liegt.

Dürer bis Saville

In der Albertina fügt sich Savilles Werk in eine Erzählung ein, die das Museum bis zuletzt prägte: Kunstgeschichte ist hier eine Aneinanderreihung von Meisterwerken, die von Leonardo und Dürer über Monet bis Picasso bis in die Gegenwart reicht.

Tatsächlich ist die Virtuosität, mit der Saville aus verschiedenen Bildquellen schöpft und zwischen den verschiedenen Tonlagen der Malerei wechselt, beeindruckend: Gestisch-abstrakte Markierungen, akademische Aktstudien und realistisch-detaillierte Ausarbeitungen finden sich oft in ein und demselben Bild.

Meisterschaft ist keine Männerdomäne: Jenny Saville in der Albertina

Die Künstlerin spielt dazu mit der Ästhetik des rohen Untergrunds und des Skizzenhaften, traktiert ihre Oberflächen (oft Leinwand, teils auch Papier) mit Radiergummis und Staubsaugern, um dann wieder pastos Farben aufzutragen und Beine, Bäuche, Hände mit einer Präsenz auszustatten, die man sonst nur von Rubens oder Lucian Freud (eines der vielen Vorbilder) kennt.

Wie die Künstlerin im KURIER-Gespräch erklärt, besitze Malerei wie nur sonst wenige Kunstformen die Fähigkeit, Widersprüche auf einer Ebene zu vereinen. Das Nebeneinander des verschiedenen Stile sei kein postmodernes Mischmasch, sondern wohl kalkuliert, sie könne auch rasch zwischen verschiedenen Malweisen wechseln: „Ich versuche einfach, so geschickt zu sein, wie ich kann“, sagt Saville.

Weiblicher Blick

Die Bilder - größtenteils jüngeren Datums und von Kuratorin Angela Stief und der Künstlerin speziell für den Gewölbe-Saal ausgewählt - öffnen den Betrachtern ein breites Spektrum der Identifikation: Der fixierende Blick der jungen Frau im Werk „Gaze“ oder die nach antiken Frauengestalten benannten Porträts („Elpis“, „Persephone“) sprechen dabei vom Verlangen, auch auf der Ebene der Motive ein weibliches Pendant zu klassischen Meistererzählungen zu schaffen.

Meisterschaft ist keine Männerdomäne: Jenny Saville in der Albertina

Das Fehlen jeglicher Unsicherheit - sei es in den Motiven oder in der Malweise - ist aber auch das, was Savilles Kunst am Ende unnahbar erscheinen lässt. Die Vorgängergeneration, auf die die Künstlerin sich beruft - Francis Bacon, Lucian Freud, der abstrakte Maler Cy Twombly - beschritten einen ungewissen Weg, ihr Hadern mit dem Finden neuer Bildformen ist ihren Werken noch heute anzusehen.

Saville findet die Errungenschaften der Malerei dagegen alle auf ihrer Palette vor. Auch wenn es ungerecht ist, der Künstlerin ihre Meisterschaft zum Vorwurf zu machen, scheint aus vielen ihrer Bilder das Geheimnis entwichen zu sein. Es ist selbstbewusste Kunst für selbstbewusste Menschen. Ihr Geschlecht spielt übrigens keine Rolle.

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