Regisseurin Agnieszka Holland: Mit Franz Kafka „lachen wie verrückt“

Idan Weiss
Die polnische Starregisseurin Agnieszka Holland über ihr Liebe zu Franz Kafka und ihr fantasievolles Bio-Pic „Franz K.“ – derzeit im Kino.

Agnieszka Holland ist mit Franz Kafka auf Du und Du. Seit ihrem 14. Lebensjahr ist sie ein Super-Fan des Prager Schriftstellers, dessen Werk die Literatur des 20. Jahrhunderts für immer veränderte: „Kafka hat mir die Augen für eine neue Sicht auf die Welt geöffnet“, sagt die polnische Starregisseurin im KURIER-Gespräch und klingt immer noch zutiefst beeindruckt. „Er war so komplett anders als Dostojewski, Tolstoi oder Stendhal. Er hat mir gezeigt, was sich alles durch Literatur ausdrücken lässt. Ich empfand eine unglaubliche Nähe zu ihm und habe mir vorgestellt, er sei mein Bruder.“

Deswegen spricht Holland auch gerne von Franz, wenn sie Kafka meint. Und dass sie im Alter von 17 Jahren nach Prag ging, dort Film studierte und später für ihr Drama „Hitlerjunge Salomon“ sogar für einen Oscar nominiert wurde, hat ebenfalls mit Franz zu tun: „Prag ist die Stadt von Franz. Auch das war ein Grund, Polen zu verlassen und hinzugehen.“

Bereits 1981 adaptierte Holland Kafkas „Der Prozess“ für das polnische Fernsehen – eine Erfahrung, die sie als „großartig“ in Erinnerung hat. Trotzdem entschied sie sich dafür, mit „Franz K.“ (derzeit im Kino) ein experimentell angehauchtes Bio-Pic über Franz Kafka zu drehen. „Franz K.“ zeichnet sich durch originelle Fragmente aus, die teils zu Kafkas Lebzeiten im Prag der Jahrhundertwende spielen, aber auch ins heutige Prag und den dort herrschenden Tourismusrummel rund um Franz K. springen.

Warum sie Kafkas Leben, nicht aber einen weiteren seiner Romane verfilmen wollte, ist für Holland klar: „Ich finde, ,Der Prozess‘ ist sein einziges literarisches Werk, das sich verfilmen lässt, ohne seine Essenz zu verlieren“, so die Regisseurin: „Im Theater funktioniert es etwas besser, aber der Film macht durch seine Bilder die Literatur sehr konkret. Dadurch verliert sie ihre Ambiguitäten.“

In der Strafkolonie

Apropos konkret: Es gibt eine Szene, in der Kafka bei einer öffentlichen Lesung seine Erzählung „In der Strafkolonie“ vorträgt. Darin wird in kühler Detailgenauigkeit beschrieben, wie einem Verurteilten der Schuldspruch mit einem nadelbesetzten Apparat in den Körper hineingestanzt wird. Die Zuhörer sitzen zuerst schreckensstarr, dann verlassen immer mehr Menschen fluchtartig den Raum oder fallen gleich in Ohnmacht. Allerdings belässt es Agnieszka Holland nicht damit, dass sie ihren Kafka-Schauspieler die Geschichte vorlesen lässt. Zusätzlich bebildert sie diese Textstelle mit einer schwer auszuhaltenden Filmszene, in der sie zeigt, wie sich die Nadeln der Maschine blutig in den Rücken eines brüllenden Mannes bohren: „Genau das wollte ich“, sagt die Filmemacherin resolut: „Es handelt sich um eine grausame, sehr konkret beschriebene Szene. Ich wollte, dass sich das Publikum beim Zusehen unwohl fühlt – genauso unwohl wie damals die Zuhörer.“

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Agnieszka Holland war schon mit 14  Kafka-Fan. 

Zudem habe „In der Strafkolonie“ – geschrieben 1914, veröffentlicht 1919 – nach dem Zweiten Weltkrieg seine ganz besondere Bedeutung erhalten, führt Holland aus: „Diese Erzählung dokumentiert nicht nur ein inhumanes System, das Gewalt legitimiert. Es zeigt auch die absurde Grausamkeit, mit der Menschen auf unglaubliche Weise entmenschlicht werden. Die ,Strafkolonie‘ gilt als schlagendes Beispiel für Kafkas Ruf als visionärer Schriftsteller.“

Kafkaesk

Bis heute bezeichnet der Begriff „kafkaesk“ Situationen, die als albtraumartig, absurd und bedrohlich wahrgenommen werden. Aber das sei auch vielfach ein Stereotyp, findet Agnieszka Holland: „Kafkas Leben und Werk werden meist düster und geheimnisvoll beschrieben, er selbst als jemand, der sich immer verstecken wollte. Natürlich hatte er dunkle Seiten, aber ich wollte Licht auf ihn werfen und ihn in verschiedenen Farben zeigen. Er war ein sehr sinnlicher Mensch und“ – hier dachte Holland wohl an Kafkas „Verwandlung“ – „nicht nur eine Art Kakerlake.“

„Im Kino gewesen. Geweint“, lautet ein berühmter, viel zitierter Eintrag in Kafkas Tagebuch.

Doch Agnieszka Holland zeigt eine Szene, in der Franz K. mit einer jungen Frau im Kino sitzt, sich eine US-Stummfilmkomödie von Mack Sennett ansieht und dabei herzlich lacht. Kafka war fasziniert vom Film und ging oft ins Kino, weiß Holland: „Mack Sennett mochte er ganz besonders. Und da gab es nichts zu weinen.“

Aber auch in Kafkas Literatur findet sich mehr Humor, als man glauben könnte. So gibt es eine Szene, in der Kafka seinen Literaturfreunden ein Kapitel aus dem „Prozess“ vorliest und sich dabei alle zerkugeln: „Auch das ist real, das kann man in den Memoiren von Max Brod nachlesen“, grinst Agnieszka Holland: „Alle haben wie verrückt gelacht, als wäre es eine Nummer von Monty Python. Aber ich verstehe diese Art von schwarzem Humor. Ich musste damals bei der Lektüre auch lachen.“

Mit der Besetzung des deutschen Schauspielers Idan Weiss, der die Hauptrolle spielt und Kafka verblüffend ähnlich sieht, ist der Regisseurin übrigens ein echter Coup gelungen. „Das war ein Wunder. Und ein Beweis“, sagt Agnieszka Holland augenzwinkernd: „Franz wollte, dass ich einen Film über ihn mache, und hat mir seine Reinkarnation geschickt.“

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