Mit Vincent und Ali im Taxi: Was Taxifahrer in Wien erzählen
Obwohl ich ein großer Freund des öffentlichen Nahverkehrs bin, musste ich letztens in Wien mit dem Taxi fahren. Ich hatte nämlich ein ziemlich großes Ölbild zu transportieren, ein Familienstück, das nicht viel wert ist, aber mein Herz hängt daran. Ein Fahrer, der sich auf der Taxi-App Ali nannte, kam mit seinem ziemlich zerlemperten Auto und half mir umsichtig, das Bild darin zu verstauen. Wir machten uns auf den Weg ins Augartenviertel zu einer reizenden Restauratorin, die mir versprochen hatte, das Bild nach 60 Jahren im verrauchten Elternwohnzimmer vom Tabakfirnis zu befreien und dadurch aufzuhellen.
„Darf ich fragen, mein Herr, haben Sie da einen Picasso? Oder einen van Gogh?“ Ich antwortete, dass ich dann wahrscheinlich mit meinem Chauffeur in meiner Limousine unterwegs wäre. Ali lachte und verteidigte seinen Wagen, der zwar schon eine halbe Million Kilometer auf dem Tacho, aber noch nie ein Ölbild im Kofferraum gehabt habe. Und dann philosophierte der Taxifahrer zuerst über die Armut und die Verzweiflung Vincent van Goghs unter besonderer Berücksichtigung des abgeschnittenen Ohrs, um danach über den Kunstmarkt und vor allem die künstlichen Preise des Kunstmarkts zu philosophieren.
„Ich frage Sie, mein Herr, warum ist die perfekte Fälschung ein paar Tausende Euro wert, und das Original Hunderte Millionen?“ Ich schlug mit Walter Benjamin vor, dass es vielleicht an der Aura des Kunstwerks liege, er aber schüttelte den Kopf und behauptete: „Das ist, weil der Markt es so will.“ Womit Ali wahrscheinlich ziemlich recht hat.
Mahler am Steuer
Ich weiß schon, es gilt als unhöflich, provinziell, peinlich ... Aber was soll ich machen, bei uns am Land gibt es kaum Taxifahrer, und deshalb frage ich in der großen Stadt die Fahrer manchmal, woher sie kommen. Natürlich auch jene, die wie Österreicher heißen oder aussehen, wie sich Österreicher Österreicher vorstellen. Ich finde es interessant, ob jemand aus der Vojvodina kommt oder aus dem Waldviertel, aus Simmering, vom Semmering oder aus dem Senegal. Tatsächlich hat sich von meiner Frage auch noch nie jemand beleidigt gefühlt. Ali war 1980, zur Zeit des ersten Golfkriegs, aus dem Irak nach Wien geflüchtet. Er hat sein Leben lang hier gearbeitet, ist nun in Pension und fährt nebenher Taxi, um seine Enkeltochter beim Studium zu unterstützen.
So habe ich die interessantesten Lebensgeschichten kennengelernt. Ich hatte schon einen Bosnier, der mir in fünfzehn Minuten den gesamten Jugoslawienkrieg nacherzählte, was ziemlich traurig war. Mit einem Rumänen verstand ich mich so gut, er hat am Ende der Fahrt meine gesamte Familie und mich zu seiner Hochzeit in ein Dorf nahe Temesvar eingeladen.
Ich erinnere mich auch gerne an den bulgarischen Musiker, der Ö1 hörte und gleichzeitig fuhr und die Zweite Mahler dirigierte. Er machte das ziemlich überzeugend. Jedenfalls das Dirigieren des Orchesters.
Zum Autor: René Freund lebt als Schriftsteller im südlichen Oberösterreich. Alle Infos unter www.renefreund.com.
Kommentare