Hosenlose Blamage: Mit dem Pyjama durch die Stadt

Des Freunds neue Kleider: Hoffentlich liest das die Mutter nicht. Sonst würde sie sich für mich in Grund und Boden schämen.
René Freund

René Freund

Vergangene Woche befand ich mich in Wien in einer äußerst unangenehmen Situation. Peinlich ist eigentlich nur ein Hilfsausdruck für das, was mir widerfahren ist, und ich kann nur hoffen, dass meine Mutter den KURIER heute ausnahmsweise nicht liest, weil sie sich sonst für mich in Grund und Boden schämen würde.

Vorausschicken darf ich, dass wir eine Wohnung in Wien haben, die zwar winzig ist – aber immerhin, wir sind Nachbarn von so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Peter Alexander, Richard Lugner oder Thomas Bernhard, weil sich diese Wohnung direkt neben dem Grinzinger Friedhof befindet. Unser „Pied-à-terre“, wie der Döblinger gerne sagt, ist rudimentär ausgestattet. Wir verfügen über eine Kaffeemaschine und zwei Zahnbürsten, alles andere hat seinen Fixplatz auf dem Land.

 Nun begab es sich, dass Frau Freund in aller Früh mit dem Auto zu einem Termin in einen entlegenen Winkel von Floridsdorf fuhr. Wir würden uns erst am Nachmittag wiedertreffen, um die Heimreise anzutreten. Ich half noch mit, unser Gepäck zum Auto zu tragen, küsste Frau Freund zum Abschied und marschierte zurück zur Wohnung, um mich für meinen Ausflug in diverse Museen der Stadt fertigzumachen. Nach dem Kaffee dann der große Schreck: Ich hatte in morgendlicher Verwirrung meine Hosen und Hemden in den Kofferraum des Autos gepackt. Ich hatte nichts anderes zum Anziehen, als den kurzen karierten Pyjama, den ich am Leib trug.

Straßenbahn-Scham

Jetzt konnte ich sechs Stunden lang Däumchen drehen, denn Laptop, Buch, Brille – alles in Floridsdorf. Oder sollte ich alle Schamgrenzen überwinden und in die Stadt fahren? Sechs Stunden Nichtstun ist eine lange Zeit. Mit bangem Herzen schloss ich die Wohnungstür hinter mir. Auf dem Weg zur Station mit dem schönen Namen „An den langen Lüssen“ kam ich mir nackt vor. Im 38er verdrückte ich mich in den letzten Winkel. Da ich im 19. Bezirk aufgewachsen bin, bin ich schon Tausende Male mit dem 38er gefahren. Aber noch nie in einem Pyjama. Meine größte Angst war, jemandem zu begegnen, den ich kenne. Am liebsten hätte ich eine Sonnenbrille aufgesetzt. Aber die befand sich – erraten – im Auto.

Den Kopf quasi zwischen den Knien verborgen, beobachtete ich die Reaktionen der anderen Passagiere auf mein Outfit. Niemand würdigte mich eines Blickes. Bei näherem Hinsehen bemerkte ich, dass viele Männer kurze Hosen trugen. Sporthosen, Freizeithosen, im Prinzip von Pyjamahosen kaum zu unterscheiden. Ich verwarf den Plan, in Sievering auszusteigen und mir eine Hose zu kaufen. Mein Pyjama war okay! Am Schottentor fand ich ihn eigentlich richtig schön. Im Museumsquartier geradezu sexy. Und ich schwöre, auch auf dem ganzen Weg zwischen Hofburg und Schwedenplatz hat mich niemand blöd angeschaut. Das blieb Frau Freund bei unserem Wiedersehen in Floridsdorf vorbehalten. Aber egal – Hauptsache, meine Mutter erfährt nie etwas von dieser hosenlosen Blamage!

Zum Autor: René Freund lebt als Schriftsteller im südlichen Oberösterreich. Alle Infos unter www.renefreund.com

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