Wenn Städter am Strand sind und Landmenschen das Haus reparieren
Wie an dieser Stelle bereits erwähnt, stammt Frau Freund vom Land. Sie hat ihre Kindheit und Jugend zwischen Feldern und Wäldern, zwischen Mähdreschern und Motorsägen verbracht. Das macht etwas mit einem. Glauben Sie mir: Menschen, die auf dem Land sozialisiert wurden, ticken anders als urbane Ureinwohner. Man merkt das auch im Urlaub.
Wir waren vergangene Woche bei lieben Freunden eingeladen, deren Familie ein Haus in Dalmatien besitzt. „Gib uns noch zwei südlichere Tage“ lautete das Motto unseres Ausflugs, und unser Gebet wurde erhört. Wir waren drei fröhliche Ehepaare. Fünf von uns, die geborenen oder eingefleischten Städter, verbrachten die meiste Zeit am Strand oder auf der Terrasse mit Meerblick.
Die perfekte Balance des Negroni
Wir beschäftigten uns eingehend mit dalmatinischen Rebsorten, der perfekten Balance des Negroni und anderen lebensentscheidenden Themen, während Frau Freund, einem Wildschwein nicht unähnlich, durchs Gebüsch raschelte, Lorbeerhaine durchquerte oder sich in Olivenbaumwäldern versteckte.
Was genau sie dort machte, verriet sie uns nicht. Sie urgierte nur, die Einkaufsliste um die Begriffe „Gartenschere“ und „Essigsäure“ zu erweitern. Wenn sie sich zu uns gesellte, dann nicht für lange. Denn: Es gibt immer was zu tun. Eine von uns hatte zum Beispiel erwähnt, dass der Wasserhahn im Bad nur noch tröpfchenweise Flüssigkeit abgab; dem anderen fiel ein, dass ein Handtuchhalter von der Wand gefallen war.
Vom Kalke befreit
Frau Freund sprang auf, sprach etwas von Inbusschlüssel, Sieb, Sand, Kalk und nema problema. Mit schlafwandlerischer Sicherheit fand sie den Werkzeugkoffer in einem Nebengebäude, wanderte von Zimmer zu Zimmer, und am Ende waren alle Wasserhähne vom Kalke befreit, alle Handtuch- und Brausekopfhalter saßen fest in den Wänden, die Bilder hingen gerade, und die Messer waren auch frisch geschliffen. Ich kann Ihnen wirklich nur empfehlen, liebe Leserin, werter Leser – falls Sie irgendein Problem im Haushalt haben, rufen Sie Frau Freund an. Ich meinerseits bin Ihnen gerne bei einem Negroni behilflich.
Natürlich habe ich versucht, unterstützend zu wirken, indem ich zum Beispiel Dinge sagte wie: „Lass gut sein, wir sind doch im Urlaub!“
Nicht verstanden
Frau Freund sah mich dann an wie jemanden, der das Konzept von Realität nicht ganz verstanden hat, und meinte, dass Probleme nicht immer von Apps gelöst werden könnten. Wie sei es möglich, einfach so dazusitzen, wenn rundherum die Wasserhähne verkalken? Am Abreisetag stand das Haus da wie neu. Neben unserem Auto türmten sich Haufen von Buschwerk: Lorbeerblätter, Pinienäste mit Zapfen, Olivenzweige, wilde Erika, und Frau Freund war gerade dabei, das alles in den Kofferraum zu verfrachten.
„Was machen wir damit?“, fragte ich. „Adventkränze für die ganze Familie. Es ist Oktober!“ Mehr habe ich meiner eingangs aufgestellten Behauptung, Landmenschen wären anders als Städter, nicht hinzuzufügen.
René Freund lebt als Schriftsteller im südlichen Oberösterreich. Alle Infos unter www.renefreund.com.
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