Profitgier im Profisport: Boykott war vorgestern

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Der Grat zwischen ehrlichem Entsetzen, medialer Heuchelei und gefühlskalter Ignoranz wird zusehends schmäler.
Wolfgang Winheim

Wolfgang Winheim

Noch stehen die Klassiker in Wengen und Kitz bevor, noch besteht die Chance, dass der Pleiten-, Pech- & Pannendienst des ÖSV die Nummer-1-Position im Winter 1 ohne Marcel Hirscher zurückerobert. Der Gewinn des Nationencups, der in der 30-jährigen Ära von Peter Schröcksnadel stets gelang, ist das eine große Ziel des Langzeitpräsidenten. Sein zweites soll im Mai im bekannt schneesicheren Thailand erreicht werden, wo die FIS die alpine WM für 2025 vergibt. Schröcksnadel kämpft um den Zuschlag für Saalbach.

Als in Saalbach zum letzten Mal 1991 um Gold gefahren wurde, nannten das viele pietätlos, so forderte das deutsche Slalom-Ass Armin Bittner die WM-Absage, weil in 4.600 Kilometer Entfernung am Golf die Panzer durch die Wüste rollten. Als bald darauf der jugoslawische Bürgerkrieg (in dem die Adelboden-Dominatoren Zan Kranjec und Filip Zubcic auf die Welt kamen) vor der Haustüre hunderttausend Tote forderte, reagierte Resteuropa nicht mehr so sensibel.

Das Grauen wurde Alltag, jedes Großereignis à la Olympia und Fußball-WM durchgezogen. Und im neuen Jahrhundert? In dem wird in einer von Profitgier dominierten Sportwelt der Grat zwischen ehrlichem Entsetzen, medialer Heuchelei und gefühlskalter Ignoranz zusehends schmäler.

Vor drei Jahren stornierten Österreichs Fußballklubs ihre Wintercamps in der Türkei wegen Terrorgefahr und Politik. Demnächst fliegen die Trainer Dietmar Kühbauer und Christian Ilzer mit ihren Teams Rapid und Austria sehr wohl ins kostengünstige Erdoğan-Reich, obwohl aus dessen Führer kein Friedensengerl geworden ist.

Warum soll man bemühte türkische Gastgeber wegen ihres Diktators ignorieren, lässt sich argumentieren und auf die Mächtigen der Sportwelt verweisen, die auf Moral pfeifen, sobald die Kasse stimmt. Siehe die Rallye Dakar, die in der saudischen Wüste viel Staub aufwirbelt, siehe die Fußballklubs Real, Barça und Valencia, die im Ölparadies, in dem allein 2019 amtlich bestätigte 187 Hinrichtungen erfolgten, um Spaniens Supercup spielten.

Ob im arabischen Raum, ob in der Türkei (im Mai Schauplatz des Champions-League-Finales), ob in anderen politisch umstrittenen Ländern – allerorts schießen teure, protzige Sportpaläste aus dem Boden. Verglichen dazu kann Österreich bei der Vergabe von Großereignissen „nur“ als friedlich-freundliches, neutrales Tourismusparadies punkten. Das sollten Lästermäuler zu schätzen wissen, ehe sie süffisant prophezeien, dass es bei den Europameisterschaften in Handball (bis 22. Jänner auch in Graz und Wien) und Eiskunstlauf (ab 20. Jänner in Graz) letztlich bloß zum „Veranstaltungschampion“ reichen wird.

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