Lasst liegen: Warum der Wahn zum Jungwein purer Unfug ist

Vor allem jetzt im Frühling soll es frisch und knackig sein, duftig und möglichst unkompliziert. Das ist ein Fehler.
Christina  Fieber

Christina Fieber

Winzer können ein Lied davon singen. Die letzte Beere ist noch nicht vom Rebstock gezupft, molestiert man sie schon mit der Frage, wann denn der Wein endlich abgefüllt werde. Zunehmend ratlose Sommeliers berichten von Gästen, die, wie von der Midlife-Krise geschüttelte Spätfünfziger nach blutjungem Stoff verlangen. Vor allem jetzt im Frühling, wenn alles sprießt, soll es frisch und knackig sein, duftig und möglichst unkompliziert.

Kein Hahn scheint nun mehr nach reifen Weinen zu krähen – man lässt sie liegen, als handle es sich um Gebäck vom Vortag. Geschmackstechnisch erweist sich der Jungweinwahn jedoch als grober Unfug. Wein braucht Zeit. Und guter Wein braucht noch mehr Zeit.

Die Gier nach immer jüngeren Gewächsen macht nicht etwa bei früh gelesenen, leichten Weinen halt – auch anspruchsvolle Kreszenzen bleiben vom grassierenden Jugendkult nicht verschont. Ihr wahres Können würden sie erst nach Jahren der Reife zeigen – allein, da sind sie oft ausgetrunken.

Das rastlose Treiben wird nicht selten auch von den Weinmachern befeuert: Um dem Wunsch des Kunden zu gereichen, wird immer früher abgefüllt. Besonders hart trifft es Weißweine: Selbst Spätlesen der letzten Ernte kommen oft schon im nächsten Mai auf den Markt. Dabei würde ihnen eine längere Fassruhe durchaus gut tun.

Freilich, die Lust auf Neues ist nur allzu menschlich. Will man aber partout schon wissen, wie der aktuelle Jahrgang schmeckt, reicht eine Fassprobe beim Winzer. Dafür muss kein Kinds(wein)mord begangen werden.

flaschenpost@kurier.at

Christina Fieber kommt aus Salzburg und arbeitet als freie Weinjournalistin in Wien

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