Chaos de luxe: Wuchteldrucken, volle Kraft voraus

Ironic Selfdistancing heißt unser Lieblingshobby.
Polly Adler

Polly Adler

Als der Stummfilmstar Tallulah Bankhead von ihrem Arzt ermahnt wurde, ihre Cocktail-Libido auszutricksen, indem sie einen Apfel isst, wenn sie an einen Drink denkt, antwortete sie: „Also wirklich Darling, 60 Äpfel am Tag?“ Tallulah war Teil der berüchtigten Algonquin-Runde rund um Dorothy Parker, die eine Meisterin des Wisecrackings oder auf Wienerisch Wuchteldruckens war. Am Stammtisch des New Yorker Hotels war das Erzählen von Witzen strengstens untersagt. Denn Parker, die Stücke mit schmalen Sätzen wie „Die Showgirls hatten etwas Mütterliches“ oder „Wenn Sie die Aufführung Y besuchen, vergessen Sie Ihr Strickzeug nicht“ vernichtete, hatte eine goldene Regel: „Witz enthält Wahrheit, Witze sind nur Gymnastik mit Worten.“ Tatsächlich waren wir alle viel zu lange im verbalen Trockentraining ohne Sparring-Partner, alles witzlos. Als jetzt das Lieblingscafé in der Postgasse seine Pforten öffnete, galoppierten wir wie Rennpferde, die zu lange in der Koppel gegrast hatten, hinein. Was für eine Wohltat, wieder „Heuchler, Wichtigtuer und Langeweiler in die Schranken weisen zu können“, so Mrs. Parkers Prämisse, aber das Größte an der Lockerung ist natürlich, wieder auf Schmäh-Trab zu kommen. Man ist ja schon ganz grau im Gesicht wegen all des sozialen Vitaminmangels und der Zoom-Fadesse. Schmäh funktioniert aber nur, wenn man sich dazu auch eine fette Portion Selbstironie gönnt. Das größte Unglück der Menschen fußt in der Tatsache, dass sie sich selbst viel zu ernst nehmen. Jeden Tag im Absurdistan von Insta und Facebook nachzulesen. Vom Land der Lächerlichkeit ist man dort oft nur eine Kolibrizungen-Länge entfernt. In der Disziplin ironische Distanzierung zum eigenen Ego bekommt P den Pokal der Woche. Bedingt durch jenen Moment, in dem sich unsere Großmimin beim ersten Ausflug ins bebaute Gebiet in den Stuhl plumpsen und es dazu schallen ließ: „Das ist mir das Liebste: malerisch hingegossen sein und nichts können!“ Möglicherweise unser Sommermotto 2020.

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