
Trendsport Boxen: Was man dabei fürs Leben lernt
Boxen ist angesagt. Was bringt es und was lernt man dabei fürs Leben? Wir sind in den Ring gestiegen und haben mittrainiert.
Eins, zwei, vor! So lautet der Befehl, laut und unnachgiebig, und wir befolgen ihn. Links ein Schritt nach vorne, der rechte Fuß zieht nach. Die eine Faust bleibt zur Deckung am Kinn, die linke Führhand schnellt nach vorne, ans Kinn eines imaginären Gegners. Pfffft! pfeift es durch Luft und Lunge. Jetzt nicht lange nachdenken. Eins, zwei, zurück! Rückzug, dann schlagen. Dann nach links, nach rechts – und als nächste Challenge eine Denksportaufgabe für das Kompetenzzentrum Koordination im Oberstübchen: Wenn der Befehl „vor“ lautet, schreiten wir zurück, heißt es „zurück“ müssen wir nach vor, und links und rechts wird auch vertauscht.
Ein bisschen ist es wie in der Tanzschule beim Linkswalzer: erst kennt man sich nicht aus, doch dann wird man süchtig nach dem Gefühl, wenn beim Üben vor dem Spiegel alles zusammenpasst: Schritt, Schritt, Schlag, der ganze Körper ist angespannt, die Sinne geschärft. Der Alltag liegt plötzlich ganz weit hinter uns – und das schon in Stunde eins beim Boxtraining.
Boxen als Mentaltraining
Es ist ein Gefühl, das jetzt immer mehr spüren wollen. Hannes Woschner weiß es aus erster Hand. Wir trainieren in seinem Boxclub, dem Five in 1180 Wien, Sandsäcke baumeln von der Decke, ein Ring mit blauem Boden und weißen Seilen thront in der Ecke, Ventilatoren machen Wind. Er sagt, „es gibt im Sport Trends und Megatrends: Die einen verschwinden nach kurzer, intensiver Zeit von der Bühne, die anderen sind gekommen, um zu bleiben. Boxen hat es immer schon gegeben – aber jetzt ist es vom Leistungssport im Breitensport angekommen und populärer als je zuvor.“

Hannes Woschner, Leiter Boxclub Five: „Boxen ist Charakterbildung. Man lernt Disziplin, Ziele strukturiert umzusetzen und auf Stress zu reagieren"
©Alexander KernStur auf einen Sandsack einzudreschen oder schlicht das Einmaleins des Schlagens zu lernen, damit man beim nächsten Kirtagskelch nicht den Kürzeren zieht, ist dabei nicht gefragt. Boxen, das ist vor allem ein geiles Ganzkörpertraining. „Man trainiert Kraft, Ausdauer und Koordination in einem – das ideale Allround-Paket“, sagt Woschner, kein muskelbepackter Preisboxer, sondern ein fitter Mitmensch, mit wachen Augen und klaren Ansagen.
Ursprünglich hat er Kommunikationswissenschaft trainiert, heute ist er staatlich geprüfter Instruktor für olympisches Boxen, auch Krav Maga, die irre effektive Selbstverteidigungskunst aus Israel, trainiert er. 2008 gründete er Five Training, seitdem kommen sie alle: die junge Studentin genauso wie der Herr in den besten Jahren, also all jene, die nicht bloß in abgedunkelten Studios unter zuckenden Neonlichtblitzen und bei laut aufgedrehter Technomusik beim sogenannten Fitnessboxen abkeuchen wollen, sondern – ja, richtig Boxen lernen wollen.
Bei angestauten Aggressionen ist es einfach ein befreiendes Gefühl, auf einen Sandsack einzuprügeln. Ein Sprint beim Laufen kann das nicht leisten.
„Boxen ist Charakterbildung“, sagt Hannes Woschner. „Erwachsene lesen Bücher zur Persönlichkeitsentwicklung, Boxen halte ich aber für effektiver. Man lernt Disziplin, seine Ziele strukturiert umzusetzen und in Stress-Situationen richtig zu reagieren.“ Dabei geht man an die eigenen Grenzen, überschreitet sie zuweilen; im Gruppentraining lernt man, flexibel zu kontern, wenn Druck auf einen ausgeübt wird. Lernt, sich auf sich verändernde Schwierigkeiten einzustellen – etwa wenn die Boxpartner wechseln. Immerhin boxt jeder anders, die einen bevorzugen die Defensive, andere die Offensive. Da gilt es kühlen Kopf zu bewahren. Boxen als Mental-Training fürs Hirn, das hilft auch im Alltag. Und hat sich längst bis in die Chefetagen herumgesprochen.
Wieso Manager auf Boxen setzen
Managerboxen heißt der Trend, der daraus entstanden ist. Gekommen ist er natürlich aus Amerika, wo er allerdings unter dem Namen White-Collar-Boxing bekannt ist. Arbeiter tragen Blue-Collar, bei uns würde man sagen: Blaumann, die Bürohengste hingegen White-Collar, zu Deutsch „weißer Kragen“ – Anzug also. Der Legende nach ist es so passiert: 1988, zur selben Zeit also, als ein Mann namens Mike Tyson sich aufmachte, sich zum „Baddest Man on the Planet“ hochzuboxen, gerieten zwei Chefs in New York derart in Streit, dass sie nur noch einen Ausweg kannten: die Fäuste zu schwingen.
Aus diesem primitiven Privatduell hat sich heute eine elaborierte Boxvariante entwickelt. Manager, die sonst am Verhandlungstisch sitzen, suchen auch nach Feierabend Lösungen für Konfliktsituationen, wenngleich anderer Art. Und zwar freiwillig. Ihre Arbeit – profitiert davon. Im Nahkampf bauen sie Stress ab, Schlag auf Schlag. Das Boxen dient der Psychohygiene, „man kann einmal ungeniert Dampf ablassen, aber so richtig“, weiß Woschner, der das Managerboxen als erster nach Österreich brachte.

Training im Five Boxclub: Das Schlagen auf die Pads, die der Coach in Händen hält, powert aus – und schult das Denkvermögen
©Tobias HolzerJemanden zu schlagen ist damit aber nicht gemeint. „Wenn ich angestaute Aggressionen habe“, so der Boxclub-Besitzer, „ist es einfach ein befreiendes Gefühl, auf einen Sandsack einzuprügeln. Ein Sprint beim Laufen kann das nicht leisten.“ Schweiß und Tränen sind erlaubt. „Und nach dem Training liegt man am Boden, ist fix und fertig und glücklich darüber.“
Voll im Hier und Jetzt
Was man in den ersten Stunden in der Gruppe lernt, sind die Grundstellungen, Angriff und Verteidigung, wie man Schlägen ausweicht; auch, wie man mit der Angst umgeht, eine Faust auf sich zukommen zu sehen und nicht die Flucht zu ergreifen, sondern stehen zu bleiben und sich – mit Doppeldeckung, also beiden Handschuhen vor dem Kopf – treffen zu lassen. Dann folgen die Partnerübungen.
Zum Boxen kommen aber nicht nur Manager und Politiker; vom Studenten bis zur Bäckermeisterin ist alles dabei. Alle suchen dieses eine, spezielle Gefühl: „Man denkt an keine To-do-Listen, keine Probleme in der Arbeit oder zuhause – man ist voll im Hier und Jetzt.“
Das merken auch wir. Vom Trockentraining sind wir mittlerweile in den Ring gewechselt, durch die Seile gestiegen, hinein ins Kampfquadrat. Woschner zieht die Pads an, riesige Tatzen, die er immer wieder hochhält und in die man so fest es geht hineinschlägt. Jetzt ist Power angesagt, der Tanz beginnt. Paff mit links, Paff mit rechts. Schrittfolge einhalten, Schlag ausweichen, versuchen, die Drehungen des Trainers mitzugehen. Reizüberflutung. Dann in die Ringecke zurückgedrängt werden, Achtung: Attacke! „Deckung hoch, Körper anspannen!“, ruft Trainer Woschner, links und rechts prasseln die Schläge auf den Körper, bis man sich aus der heiklen Situation wieder befreit hat. Dabei an etwas anderes denken? Unmöglich.

Marcos Nader, Chef Boxclub Bounce: "Wenn dir eine Faust entgegen kommt, hast du wenig Zeit nachzudenken – du musst reagieren"
©frbmediaDas sieht auch Marcos Nader so. „Wenn dir eine Faust entgegen kommt, hast du wenig Zeit nachzudenken – du musst reagieren.“ Als Champion, Ex-Profiboxer und Präsident des Österreichischen Boxverbandes weiß er, wovon er spricht. Seit 2005 betreibt er den Boxclub Bounce in Wien-Ottakring. Managerboxen bietet auch er an. Warum die Entscheidungsträger sich die Trainingstorturen antun, ist auch ihm nicht völlig klar.
„Den ganzen Tag mentalen Stress, und dann abends noch kräftezehrender Sport, das ist bemerkenswert. Aber es ist genau der Ausgleich, den Manager brauchen. Sie können sich auspowern und lernen noch etwas über strategisches Denken, Technik und Taktik und Risikobereitschaft.“
Vor allem aber gefällt Nader eines: Wenn Führungskräfte und Flüchtlinge bei ihm im Club gemeinsam trainieren – und sich bestens verstehen. Eine Einstellung, die auch Hannes Woschner teilt: „Man boxt nicht gegeneinander, sondern miteinander“, sagt er. Und dafür hält man gerne mal den Kopf hin.
Kommentare