Esther Perbandt - Runway - Mercedes-Benz Fashion Week Berlin FW 2022

Wächter der Nacht: Die Geheimnisse der Kult-Türsteher

Türsteher entscheiden, für wen die Party beginnt und für wen die Nacht endet. Manche sind Ikonen, einige zieht es zur Kunst.

Heute leider nicht. Der Klub ist voll. Ihr seid nicht auf der Liste. Es sind trockene Einzeiler wie diese, die für manch Feierwilligen die Nacht schon viel früher beendet haben, als ursprünglich geplant. Die Nacht, sie war zwar jung, aber die Party war dann dennoch zu Ende. Schuld daran: ein streng selektierender Zerberus an der Tür zum Tanztempel. Türsteher entscheiden, wer rein darf und wer nicht. Sie sind die Macht der Nacht.

Dafür muss man in diesem Beruf eine gewisse Unerbittlichkeit mitbringen. Selbst wenn tief in einem drin eigentlich eine zarte Künstlerseele steckt. Sven Marquardt vereint all das. Stacheldraht-Tattoo im Gesicht, weitere Tätowierungen sichtbar an Hals, Brust und den Händen; Piercings durch Nase, Ohren, Unterlippe; dazu: Totenkopf-Ringe, Lederkluft, grimmiger Blick. So steht er nach wie vor des Nachts vorm Berghain, auch mit 63, wenn andere in dem Alter längst nach dem 20:15-Uhr-Film das Licht abdrehen und müde unter die Tuchent schlüpfen. 

Esther Perbandt - Runway - Mercedes-Benz Fashion Week Berlin FW 2022

Sven Marquardt, berühmtester Türsteher der Welt: „Hätten wir einen Club nur voller Models, wäre das eine halbe Stunde lang schön anzuschauen, aber Gott, das wäre langweilig und kein Zeichen für Toleranz“

©EPA/CLEMENS BILAN

Gefürchtet hingegen Marquardt: ein ehemaliger Punkrocker aus dem kommunistischen Ostberlin, seit Ewigkeiten Herr über die härteste Tür Deutschlands, vielleicht sogar der Welt, im Berghain, dem vielleicht besten Techno-Klub der Welt. Was nicht heißt, dass Marquardt keine Manieren hätte: Auch wen er abblitzen lässt, wird dennoch gesiezt. Marquardt ist ein weltberühmtes Berliner Original, sogar eine Nebenrolle im Keanu-Reeves-Actionhit „John Wick 4“ hat er ergattert, dazu ein international ausgestellter Fotograf – und trotz Revoluzzer-Gestus ein Mann mit Manieren.

So kommt man ins Berghain

Doch wie kommt man denn nun an diesem Mann vorbei? 

Es ist eine Frage, die Heerscharen von Nachtschwärmern beschäftigt. Immerhin beginnt der Einlass an einer Samstagnacht im Berghain erst um Mitternacht. Mitunter steht man stundenlang in der Schlange und wird erst recht abgewiesen.

46-217691550

Die härteste Tür Deutschlands: der Technoclub Berghain in Berlin. Türsteher: Sven Marquardt 

©mauritius images / Alamy Stock Photos / Schoening/Alamy Stock Photos / Schoening/mauritius images

Ein Forscherteam rund um die Freie Universität Berlin hat eine wissenschaftliche Studie über die Türpolitik der Stadt angestellt, für die sie Interviews mit Türstehern, Klubbesitzern, DJs führten und die Szene beobachteten. Das Ergebnis, vom Spiegel zitiert, führt als wichtigste Faktoren Kleidung, Techno-Kenntnisse, Charisma und Verhalten in der Warteschlange an. Die Conclusio aber ist ein Paradoxon: Der perfekte Gast verkörpere Anpassung als auch Individualität. Er solle sich in die Masse einfügen, aber herausstechen. Der Partygänger als eierlegende Wollmilchsau, quasi.

Ein weiteres Puzzle-Stück, das zum Mysterium des Türstehers beiträgt. Der steht im Heldenhimmel der Männerwelt irgendwo zwischen Cowboy, Fremdenlegionär und Herkules. Stark, einsam, hoffentlich gerecht, ein Vierschröter mit undurchsichtiger Vergangenheit und ungewisser Zukunft, vor Grobheiten wenn es denn sein muss nicht zurückschreckend – ein König der Nacht. Wie Richard Boch etwa, der als Türsteher des Mudd Clubs in Manhattan mit Stars wie Debbie Harry oder Jean-Michel Basquiat abhing. Oder ein echter Marquis, der in Österreich berühmt wurde.

46-37466608

König vom U4: Conny de Beauclair stand 30 Jahre lang an der Tür der Kultdisco in Wien. Hier schloss er Freundschaft mit Falco, erlebte Prince live und überredete Johnny Depp zum Gratis-Konzert 

©Kurier/gnedt martin

Security für Johnny Depp 

Denn hierzulande kennt man vor allem einen Türsteher mit Namen: Conny de Beauclair, untrennbar verbunden mit der legendärsten Diskothek des Landes – dem U4 in Wien-Meidling. 30 Jahre lang und seit 1980 hütete er dort die Pforten. Ein sanfter Riese von 1,86 Metern. Der Croupier werden wollte, aber dann anderweitig viel erlebte. Hansi Hölzel riet er, den „Kommissar“ zur A-Seite seiner Single zu machen und nicht „Helden von heute“, kurz darauf war der Weltstar Falco geboren. Die Frau von Conny wurde von David Bowie angebraten. Und Prince gab 1987 im U4 „das tollste Konzert, das ich jemals gesehen“ habe, so de Beauclair im Interview mit der KURIER freizeit. Die Vorgruppe von Prince beim Stadthallen-Gig geigte damals auf, der Sänger stieß gratis dazu. Zuvor erkannte ihn keiner, als er sich ins Publikum mischte; später feuerten die Gäste eher seine fesche Schlagzeugerin Sheila E. an, was das Musikgenie doch ein wenig ärgerte.

Kurt Cobain und Nirvana waren da, aber die hat de Beauclair kaum wahrgenommen. Johnny Depp eher, den chauffierte er drei Tage lang durch Wien. Mit seiner Band P war der Filmstar für 1,5 Millionen Schilling Gage bei einer Modenschau in den Sophiensälen gebucht, wo man ihm bald den Strom abdrehte. Zwei Tage später holte Conny ihn für ein Konzert ins U4 – für null Gage, aus Dank für die nette Betreuung und weil die Disco ihn an das Feeling in seinem eigenen Klub Viper Room erinnerte – „darauf war ich stolz.“ Doch: „Dann fiel nach zehn Minuten der Strom aus und Johnny war das so peinlich, dass er drei Kisten Bier bestellte und die Flaschen einzeln an die Zuschauer verteilte“, erzählt de Beauclair lachend.

Pumpgun-Attacke im U4 

Aber auch brutal Unerfreuliches ist ihm widerfahren. Ein Gast, den er nicht ins U4 gelassen hatte, attackierte ihn mit einer Axt. Ein anderer erschien volltrunken, worauf ihm der Zutritt verweigert wurde. Wütend fuhr er nachhause und kam mit seiner Pumpgun zurück. „Komm raus und stell dich!“, rief er nach Türsteher Conny. Dann schoss er drei Mal durch die Eingangstür, während de Beauclair in letzter Sekunde die Gäste von der Stiege in Sicherheit rettete.

„Ein Gefühl für die Leut’ und ein gewisses Auge“– das ist es, worauf es seiner Meinung nach ankommt, als Türsteher. Wer könnte Probleme machen? Wer hat zu viel im Tank? Auch wichtig: „Wenn ein Problem auftritt, ruhig bleiben und mit den Leuten sprechen und nicht gleich einen Kampf anfangen.“ Das gelingt nicht immer allen, es kommt zu tragischen Fällen. Zuletzt im Juli am Ballermann auf Mallorca: Bei einem heftigen Streit erlitt ein Schweizer Gast nach dem Faustschlag eines deutschen Türstehers einen Schädelbruch.

Photocall Berlin Bouncer Frank Kuenster Smiley Baldwin Photocall Berlin Bouncer im THE REED in Ber

Berühmt in Berlin. Frank Künster (li.) sagt über das Türsteher-Gewerbe: „Der Tag kommt. Die Macht geht.“ Smiley Baldwin  (re.) war früher Militärpolizist. Heute führt er eine Sicherheitsfirma 

©imago images / Photopress Müller/Ralf Mueller, via www.imago-images.de

Die Kunst ruft 

Andere Doormen dagegen werden zu Legenden. Der bullige Frank Künster etwa, der von sich sagt: „Ich bin der Exzessbetreuer“, und in der Berliner King Size Bar und in seinem eigenen Lokal Georgia Bar werkte. Oder Smiley Baldwin, ein Ex-GI der US-Army, der vor dem Delicious Doughnuts stand, beide verewigt in der Doku „Berlin Bouncer“. Während Letzterer heute Sicherheitsberater ist, zieht es Künster wie Marquardt zur Kunst. Künster drehte eine Doku über die Berliner Subkultur, malt und fotografiert. Marquardt arbeitete bis zum Mauerfall als Modefotograf und inszeniert heute wieder sensible Schwarzweiß-Porträts, seine Fotos werden von Barcelona bis New York ausgestellt.

Das Leben dieser Nachtschattengewächse fasziniert. Hollywoodfilme wie „Road House“ entstehen, manche Ex-Türsteher wie Vin Diesel oder Dave Bautista werden selbst Filmstars. Vor allem aber sind sie wichtige Katalysatoren im wilden Nachtleben. Die besten Clubs haben den besten Gäste-Mix. Im U4, so Conny de Beauclair, waren einst „Lodenfreaks genauso erwünscht wie Rocker oder Punks, nur keine Skinheads.“ Marquardt sagt: „Das Motto jedes guten Clubs ist: Vielfalt und Reibung“. „Gemischter Salat“ nannte Marc Benecke das, Türsteher des legendären Studio 54 in New York. Wer an ihm vorbei war, gelangte auf den „Corridor of Joy“, ins Herz der Party. Und dort wollen wir doch alle hin.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schrieb für 110%, das Sport- und Lifestyle-Magazin von Die Presse. Seit 2020 Redakteur der KURIER Freizeit mit Reportagen, Kolumnen, Texten zu Kultur, Gesellschaft, Stil, Reise und mehr. Hunderte Interviews, von Beyoncé und Quentin Tarantino über Woody Allen und Hugh Grant bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio sowie in der deutschsprachigen Kulturszene. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Liebt Kino, Literatur und Haselnusseis.

Kommentare