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Der talentierte Mr. Ripley und Co.: Warum Krimis oft im Süden spielen

Sonne, Stil – und ein Geheimnis. Ob „Der talentierte Mr. Ripley“ oder „Über den Dächern von Nizza“ – im Urlaubsparadies lauert das Verbrechen. Das ist kein Zufall.

Was hat Patricia Highsmiths Roman „Der talentierte Mr. Ripley“ mit Alfred Hitchcocks Film „Über den Dächern von Nizza“ gemeinsam?

Beide Werke sind Klassiker – keine Diskussion. Beide stammen aus dem Jahr 1955 und feiern damit heuer ihr 70-jähriges Jubiläum.

Auf den ersten Blick sind da Sonne, Stil, und das Blau des Mittelmeeres. Auf den zweiten: Täuschung, Abgründe, ein verdammt gutes Verbrechen. Beide zeigen, dass selbst die schönsten Urlaubsorte nicht nur zum Sonnenbaden und Cocktailschlürfen taugen, sondern auch als Bühne für Gier, Lüge und Mord.

Die Sonne wirft den Schatten

Es muss ja für Spannung nicht immer nur die nächtliche Großstadt herhalten, wo das Licht flackert und Rauch über die leeren Straßen voller Müllsäcke weht. Oder die ordentlich herausgeputzte Villa am Stadtrand, die ein Regisseur einer alten Derrick-Folge entworfen haben könnte. Drinnen spielt dann die Familie Biedermeier heile Welt, bis jemand mit dem Gift oder dem Jagdgewehr kommt.

Ein sommerlicher, traumhafter Handlungsschauplatz ist einfach perfekt, um spannende Sachen erscheinen zu lassen: Wie die Psychothriller-Autorin S. E. Lynes in einem Beitrag für das Mystery & Suspense-Magazin schrieb: „Ein ungewöhnlicher Ort signalisiert, dass eine düstere Geschichte im Gange ist und man vielleicht lieber das Licht anlassen möchte. Doch wenn der Autor dem Leser den sonnigen, idyllischen Ort präsentiert und ihn für die düstere Geschichte nutzt, zieht er ihn wie eine ahnungslose Figur in seinen Bann, nur um ihn dann in eine Welt voller Zweifel und heikler Ausgänge zu stürzen.“ 

Das sei wirkungsvoll – und vor allem auch eine Abwechslung zum peitschenden Regen auf den dunklen Straßen eines verkommenen urbanen Molochs. Und ganz wichtig: „Schatten werden schließlich von der Sonne geworfen.“

Die Deutschen lieben den Küstenkrimi

Das Krimigenre hat in Literatur und bewegten Bildern längst seine eigene Strandabteilung: den Küsten- oder Inselkrimi. Das Personalinventar allein ist hier schon bemerkenswert. Die Bewohner am Meer sind gerne etwas eigentümlicher und schrulliger. Fast so wie die Einheimischen im Salzkammergut. Dazu sind das Wasser und die Landschaft mehr als nur Kulisse – sie spielen quasi mit.

 Wenn im Winter der Wind über die Nordsee peitscht und irgendwo zwischen Dünen und Fischweckerln ein Mord geschieht, darf es auch mal mystisch werden und der Verdacht auf den Geist eines gehenkten Seemanns gelenkt werden. Die deutschen Nachbarn lieben das, „Nord bei Nordwest“ läuft schon ein Jahrzehnt erfolgreich. Die britische Serie „Broadchurch“ stellt den Tod eines elfjährigen Buben in einem südenglischen Küstendorf in den Mittelpunkt.

Im Sommer hingegen trifft es dann gerne die Urlauber: sonnenverbrannt, ahnungslos, mit Sand zwischen den Zehen – und plötzlich mittendrin in einer Geschichte, die viel, viel mehr Abgründe hat als das Wattenmeer bei Ebbe.

Mr. Ripley und Saures nach süßem Leben

Gerade im Urlaub soll eigentlich alles stimmen: Sonne, Freiheit, das Gefühl, dass die Welt für ein paar Tage heil ist. Und genau deshalb tut es doppelt weh, wenn das Idyll kippt. Das müssen auch Dickie Greenleaf und seine Freundin Marge erleben – die bedauernswerten Bekanntschaften eines gewissen Tom Ripley

Der junge Amerikaner mit dem höflichen Lächeln und der leichten psychotischen Schlagseite nistet sich in ihr Dolce-Vita-Leben ein, reist mit ihnen durch Italien, nippt an Cocktails und Neid, bis es Dickie auf dem offenen Meer erwischt. Danach schlüpft Ripley in Dickies Rolle – und spielt das Spiel der Täuschung so virtuos, dass selbst die italienische Polizei ins Schleudern kommt.

Über den Dächern von Nizza ist es heiß

Bei Hitchcocks „Über den Dächern von Nizza“ ist es Cary Grant als Ex-Meisterdieb, der in die Bredouille gebracht wird. Er wird aus dem Ruhestand gerufen – allerdings unfreiwillig, denn jemand stiehlt an der Côte d’Azur Juwelen im Stil seiner früheren Coups. Um seine Unschuld zu beweisen, stolpert er in eine ebenso elegante wie gefährliche Affäre mit der von Grace Kelly gespielten Frances Stevens – und liefert sich zwischen Luxushotels, Küstenstraßen und Sonnenuntergängen eine Verfolgungsjagd mit Polizei und dem echten Dieb.

Warum eignet sich gerade der Mittelmeerraum so gut für Hochspannung? Weil er mehr ist als nur eine geografische Region. Es ist Projektionsfläche, Mythos, Schwellenraum. Hier treffen seit Jahrtausenden Kulturen, Religionen, Imperien und Sehnsüchte aufeinander. Die Region ist voller Luxus, Eleganz, Strandbars und kulinarischen Verlockungen, aber nie ganz unschuldig. Schmuggel aller Art, mafiose Verbindungen, Flucht, Umweltverbrechen – auch das ist das Mittelmeer.

Im Mittelmeer herrscht das Böse unter der Sonne

Das verdeutlicht alleine der Titel der Verfilmung des gleichnamigen Agatha-Christie-Romans „Das Böse unter der Sonne“. Hier verweilt Peter Ustinov als Hercule Poirot auf einer idyllischen Mittelmeerinsel. Eine berühmte Schauspielerin wird ermordet – und Poirot muss zwischen Sonnenbaden, Cocktails und gepflegten Alibis ein tödliches Netz aus Eifersucht, Intrigen und alten Rechnungen entwirren.

Und selbst wenn man dort einfach nur die Ruhe sucht, ist es nicht still. Im Film „Swimming Pool“ aus dem Jahr 2003 braucht eine britische Krimiautorin in Südfrankreich Erholung. Doch statt Inspiration kommt die rätselhafte Tochter des Verlegers und wirbelt nicht nur die Idylle, sondern auch Realität und Fiktion gefährlich durcheinander.

Noch mehr Spannung im Paradies

Diese Filme und Serien verwandeln die idyllischen Ferienplätze ebenfalls in einen Hort des Verbrechen und des Unbehagens:

  • Scarface Der Film erzählt den Aufstieg des kubanischen Immigranten Tony Montana, der sich mit brutaler Gewalt  zum mächtigsten Drogenboss Miamis hocharbeitet – und spektakulär fällt.  Die Geschichte spielt vor der schillernden Kulisse Floridas und den satten Farben Boliviens.
  • A Perfect Getaway Ein Paar auf Hochzeitsreise in Hawaii begegnet anderen Wanderern – und gerät in einen tödlichen Psychotrip.
  • Death in Paradise In der britischen Serie ermittelt ein Inspektor auf der  fiktiven Karibikinsel Saint Marie.
  • A Bigger Splash Ein Rockidol (Tilda Swinton), ein Ex (Ralph Fiennes) im italienischen Idyll mit viel Hitze und tödlicher Eifersucht. 

So Urlaubsorte funktionieren oft auch nach eigenen Regeln. Michel Foucault hat einmal konkrete Orte, die gleichzeitig außerhalb gesellschaftlicher Normen stehen, als Heterotopie bezeichnet. Ferienressorts und Inseln können da darunter fallen. Gut zu beobachten in der inzwischen schon fast zu oft bemühten, aber eben auch treffend bösen Serie „White Lotus“. Hier wird zwischen Infinitypool, Frühstücksbuffet und Ausflugsprogramm die soziale Hierarchie einmal kräftig durchgeschüttelt.

The Beach wird zum Alptraum für Leonardo DiCaprio

Ein anderer Film, der so einen Ort beschreibt: Danny Boyles Aussteiger-Trip „The Beach“. Was als paradiesisches Hippiecamp in thailändischen Buchten beginnt – mit Lagerfeuer, nackten Füßen und Gemeinschaftsgefühl – kippt schnell. Grimmige Einheimische bauen im Hinterland Drogen an und sehen die Kommune eher als Störung denn als spirituelle Ergänzung, spätestens als Leonardo DiCaprios Charakter den Weg ins vermeintliche Paradies schafft.

Und auch in der Gruppe selbst brodelt es. Freie Liebe ist plötzlich gar nicht mehr so frei, wenn Eifersucht, Macht und Wahnsinn mit am Lagerfeuer sitzen. Am Ende bleibt vom Paradies nicht viel mehr übrig als eine schöne Ruine – und eine traumatische Erinnerung.

Wie schrieb schon Autor Elbert Hubbard? „Niemand ist so urlaubsreif wie jemand, der gerade Urlaub hatte.“

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember 2020 über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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