Collien Fernandes erklärt das Phänomen "Das Traumschiff"
Silbereisen ist umstritten, aber bleibt am Ruder. Und darf eine Affäre haben. Spielt bald auch Angela Merkel mit?
Keiner gibt es zu, aber alle schauen zu. Die Zeiten, in denen jeder, der als progressiv, studentisch oder kultiviert gelten wollte, beim Thema „Das Traumschiff“ pikiert die Augenbraue lüpfte, sind zu großen Teilen vorbei. Nicht dass es heute jeder offen zugäbe, dass er es sich auf dem Sofa gemütlich macht und einschaltet, wenn zu Weihnachten wieder neue Folgen laufen.
Doch zum einen sticht die MS Amadea bereits seit 44 Jahren in See, als siebentes Schiff samt sechstem Kapitän. Würden all jene tatsächlich nicht den Fernseher aufdrehen, die das pflichtgetreu bildungsbürgerhaft beteuern, wäre das Traumschiff längst in den Hafen der Ewigkeit eingelaufen.
Zum anderen stehen immer mehr Traumschiff-Fans offen dazu, aus Gründen der Nostalgie, Tradition, des Wohlgefühls und der Alltagsflucht wegen televisionär an Bord zu gehen. Man höre sich dazu nur einmal im eigenen Umfeld um – Freunde, Nachbarn, Tanten, Cousins. Fans der Traumwelt am Traumschiff finden sich überall.
Ahoi: Daniel Morgenroth, Barbara Wussow, Collien Fernandes und Florian Silbereisen gehören zum Stammteam
©ZDF und Dirk BartlingNeue Ziele: Bora Bora, Südafrika
Auch Collien Fernandes, die seit sechs Jahren als Schiffsärztin Dr. Jessica Delgado dabei ist, weiß das zu berichten, wie sie der fröhlich erzählt: „Intellektuelle, Politiker, Journalisten – Menschen, von denen man das niemals denken würde: Ich bin wirklich erstaunt, wer mir aller gesteht, ,Das Traumschiff’ zu schauen. Gefühlt jeder sieht zu. Und alle verbinden damit eine gewisse Emotionalität.“
Bei einer Serie mitzuwirken, die viele Leute „wirklich im Herzen berührt“ und die „aus Tradition mit der ganzen Familie zuschauen“, findet sie „krass“. Die erste von drei neuen Folgen, mit Ziel Auckland in Neuseeland ist bereits gesendet und weiterhin im Stream abrufbar, die neuen Folgen, in denen es nach Bora Bora und Südafrika geht, sind am 26.12. und am 1.1. im ZDF zu sehen. Schiff, ahoi!
Neue Folge: Klavierspiel am Strand mit Kapitän Silbereisen und Collien Fernandes auf „Bora Bora“
©ORF/Dirk BartlingHappy End ist Pflicht
An Bord des Traumschiffs ist die Welt noch heil. Wenn die schwungvoll hochorchestrierten Geigenklänge von James Lasts Titelmelodie erklingen, lehnt Österreich und Deutschland sich tief in den Ohrensessel zurück und seufzt beruhigt auf. Alles gut, Traumschiff läuft noch. Andere Sendungen, vermeintlich unsinkbar, wie die „Lindenstraße“, der „Musikantenstadl“ oder „Wetten, dass ...?!“, gingen irgendwann auf Grund wie die „Titanic“. Nicht das Traumschiff, das ist irgendwie auch ein Schlachtschiff. Nostalgie auf weitem Meer.
Gut, nicht mehr jede Woche, so wie einst. Doch nahezu unbeirrt. Am 22. November 1981 lief die erste Folge vom Stapel. Auf das Inselparadies der Bahamas führte die maritime Reise damals. Und das alte Motto von Wolfgang Rademann gilt weiterhin eisern: „Keine Gewalt, kein Mord, mäßiger Sex und immer ein Happy End“. Das perfekte Schnittmuster für ungefährliches Wohlfühlfernsehen.
Und das wurde mit Euphorie rezipiert, in einer Zeit, als das Publikum eher mit drei Sendern vorlieb nehmen musste, anstatt aus hunderten TV-Programmen plus Streamingangeboten wählen zu können. Dazu kommt: Fernreisen in Länder wie die Dominikanische Republik, Kenia oder Thailand fielen für den Großteil der Menschen zumeist in die Kategorie „unerschwinglich“. Das Traumschiff erfüllte die Sehnsucht nach exotischen Schauplätzen und dem luxuriösen Ambiente eines Kreuzfahrtschiffs zumindest für einen Fernsehabend. Dazu inspirieren lassen hatte Produzent Rademann sich von der DDR-Serie „Zur See“ und dem US-Format „Love Boat“.
Legendär: Schiffsarzt Horst Naumann, Chefstewardess Heide Keller, Kapitän Siegfried Rauch
©APA-Images / dpa / Ulrich PerreyAm 1. Jänner 1984 wurde dann eine Rekordquote erreicht: 25,15 Millionen Zuschauer sahen in Westdeutschland zu. Damals wie heute der krönende Abschluss jeder Folge: das kultige Captain’s Dinner – Smoking und Abendkleid, Ansprache vom Kapitän, Gläserklirren und sprühende Wunderkerzen im TV einerseits. Auf der anderen Seite des Bildschirms: Pyjama, angeknabberte Schokoschirmchen und unter Umständen vereinzelt leise Schnarchgeräusche vom Sofakomplizen zu Hause im Wohnzimmer. So muss Traumschiff.
Viva-Girl war einmal
„Das Zusammenspiel aus emotionalen Geschichten von Menschen in Ausnahmesituationen und den Sinneseindrücken aus fremden Ländern“, so analysiert Collien Fernandes den Erfolg des Traumschiffs. „Jedes Land ist wie eine neue Wundertüte, die man aufmacht. So wie wir sie erkunden, tun das mit uns auch die Zusehenden.“ Besonders gut gefallen hat es ihr beim Drehen der neuen Folgen auf Bora Bora. „Das hatte etwas Magisches.“
Als Schiffsärztin kümmert sie sich seit 2019 um die Kranken und Siechen. Eine Figur mit einer ein bisschen komplizierten Familienhistorie als Hintergrundstory, aber vor allem charakterisiert als verantwortungsvoll und kompetent. Wer in den Nullerjahren sozialisiert wurde, kennt Fernandes aber auch anders. Als freches Girlie in bunten Outfits, das bei Bravo TV und beim Musiksender Viva Popvideos anmoderierte. Aufwendige Videos interessieren heute kaum noch, Viva ist Geschichte. Und auch sonst hat sich viel getan. Fernandes dreht Dokus, macht sich stark gegen digitale Gewalt und für Frauenrechte.
Die biedere Welt des Traumschiffs fügt sie reibungslos an ihr altes Viva-Ich an, so Fernandes: „Ich finde es cool, dass meine Frau Doktor in den neuen Folgen immer frecher wird. Ich habe das Gefühl, da tut sich gerade etwas.“
Fernandes (hier im Talk mit Florian Silbereisen): "Ich finde es cool, dass meine Frau Doktor in den neuen Folgen immer frecher wird"
©ORF/Dirk BartlingWen Collien Fernandes sich als Gaststar wünscht
Sieben Monate lang wird gedreht, vier Folgen am Stück, die meiste Zeit ist sie tatsächlich am Reisen. „Es hat sich ein enges Familiengefühl einwickelt“, so Fernandes, so helfe man sich etwa über emotionale Krisen hinweg falls nötig. „Wir fahren sogar gemeinsam in den Urlaub, begleiten uns zu Arztbesuchen, feiern miteinander Familienfeste.“
Kapitän Florian Silbereisen wird zwar immer wieder wegen mimischer Mängel kritisiert, zuletzt nahm ihn etwa Sky du Mont ins Visier („Null Präsenz“). Und auch die Zielgruppe der jungen Zuschauer (14-49) bricht dem Traumschiff weg. Aber Strukturen werden auch aufgebrochen. Es kommen gleichgeschlechtliche Paare vor, und in der Folge „Vancouver“ fühlt ein Bub sich in Frauenkleidern wohl, ein Schock, den sein Vater erst verdauen muss. In den neuen Folgen werden Alkoholismus und Suizid thematisiert. Und – huch! – Käpt’n Parger darf sogar eine Affäre haben.
„Man will nicht etwas komplett Neues machen, aber ich habe das Gefühl, dass das Traumschiff immer moderner wird“, resümiert Fernandes. Wen sie sich als Gaststar wünschen würde, in einer Serie, die bereits Udo Jürgens oder Linda Evans an Bord hatte? „Angela Merkel – als sie selbst.“ Das Zelt der Macht am Schiff der Träume.
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