Bitte nicht wegwerfen! Wie Müll und Gebrauchtes zu Kunst wird
Wie Müll in der Kunst neuerdings daherkommt, ist oft überraschend schön. Wenn etwa Stil-Ikone Audrey Hepburn und ein Löwe zu Miststücken werden, weil sie aus gebrauchten Dingen gefertigt wurden. Oder wenn „George, das Plastik-Nashorn“ aus Legosteinen der Kindheit sind, Seepferdchen und Vögel aus Schrott, filigrane Blüten aus Plastikabfall und kleine Kunstwerke aus gebrauchten Teebeuteln.
Gerümpel und Zeugs, das keiner mehr haben will, aber die Welt zunehmend belastet, wird von immer mehr Künstlern als Rohstoff verwendet. Denn es gibt zu viel Abfall. Zu viel landet im Mistkübel, auf den Mülldeponien, bleibt aber doch erhalten, weil es beständig und unkaputtbar ist. Dabei geht es den meisten Künstlern auch darum, mehr Bewusstein für die Umwelt zu schaffen.
Schöner Mist
Künstlerin Jane Perkins, die in Südengland lebt und arbeitet, musste, um ihren Löwen fertigzustellen, auf Facebook einen Aufruf starten. Sie hatte Materialnot. Denn während der Pandemie gibt es keine Car Boot Sales. Das sind Englands beliebte Straßenmärkte, auf denen quasi aus dem Kofferraum heraus gekauft oder getauscht werden kann, was Menschen in ihren Kellern so finden und normalerweise auf dem Mistplatz landet.
Auf diesen Märkten findet Perkins genau den schrulligen Ramsch, mit dem sie am liebsten arbeitet. Die Farben und Formen müssen passen, denn alle Stücke bleiben völlig unbearbeitet. Ihre Vision: Vertrautes zu zeigen, das auf den zweiten Blick überrascht. „Ich will, dass meine Arbeit Menschen zum Lächeln bringt.“
Der Müll der anderen
Ein Lächeln gibt es meist auch hier: „Wow! Was für ein tolles Nashorn“ lautet stets die erste Reaktion auf Nashorn George, der inzwischen zum Markenzeichen des niederländischen Künstlers und Designers Dion van de Wal geworden ist. Alles begann damit, dass de Wal vor zwei Jahren im Kunstatelier eines Gebrauchtwarengeschäfts half, Dinge zu recyclen. Dort wurde er mit einer riesigen Fülle an weggeworfenen Dingen konfrontiert. Zu viel, um dem Herr zu werden, und vieles davon fast wie neu. Spielzeug, das auch er aus Kindheitstagen kannte. „Ich wollte einen Weg finden, um nicht nur alte Gegenstände zu recyclen, sondern auch ein Bewusstsein für unser derzeitiges Kaufverhalten zu schaffen.“ Daraus entstand die Idee, aus dem Mist anderer Menschen neues Leben zu erschaffen. Das Wichtigste für den Künstler dabei ist, dass die Menschen mit der Skulptur in Kontakt kommen. Es sollen sofort Erinnerungen wach werden, wenn sie das Spielzeug erkennen, aus dem das Nashorn gefertigt wurde. „Und vielleicht erkennen sie sogar, dass es immer darum geht, Erinnerungen zu schaffen, und dass man dafür nicht ständig neue Sachen kaufen muss.“
„Was für ein tolles Seepferdchen!“ werden dieser Tage auch die Menschen im portugiesischen Faro an der Algarve ausrufen. Seit April strahlt es dort von der Litfaßsäule. So süß. Und so traurig. Wie alle Werke von Street-Art-Künstler Artur Bordalo, bekannt als Bordalo II. Er verfolgt ein konkretes Ziel: Es sind die Tiere, denen Bordalo II eine Stimme geben will – Affe, Storch, Giraffe, Fuchs, Bär, Wal und Frosch, alle sind sie aus Schrott, Autoreifen und Plastikmüll. Seine „Big Trash Animals“ sollen aufrütteln. Er ist der Meinung, dass Street-Art nicht nur Spaß machen sollte, sondern auch politisch sein muss. Seine Kunstwerke sind meist erst auf den zweiten Blick verstörend. Bordalos Botschaft: Der natürliche Lebensraum der Tiere ist gefährdet. Mit seiner Arbeit erreicht der Portugiese viele Menschen. Und er will mehr: „Ich entwickle permanent neue Techniken und studiere Materialien, um noch mehr Müll in meinen Arbeiten verwenden zu können.“ Es soll dabei nicht „nur“ um Plastik gehen, sondern auch um Abfall der großen Mülldeponien.
Zweites Leben
„Der Fehler fängt schon an, wenn sich einer anschickt, Keilrahmen und Leinwand zu kaufen“, sagte einmal Joseph Beuys (siehe rechts). Zur Erinnerung: Werke dieses Künstlers wurden schon – nicht nur von Putzfrauen – mehrmals mit Müll verwechselt und einfach entsorgt. Die in New York lebende Künstlerin und Grafikdesignerin Ruby Silvious arbeitet auf Mini-Leinwänden, die in den meisten Haushalten gleich nach Gebrauch im Mist landen würden. Es sind Teebeutel, auf die sie kleine Kunstwerke pinselt.
„Als Recyclingkünstlerin arbeite ich nur mit Materialien, die bereits verwendet wurden, um ihnen ein zweites Leben zu geben.“ Silvious geht es darum, alternative Materialien zu erforschen und Grenzen zu überschreiten. Sie sagt: „Wenn ich damit auch einen Beitrag für die Umwelt leisten kann, bin ich zufrieden.
Der Pariser William Amor hat seine kreativen Grenzen längst überschritten. Seine filigranen Blütenwunder aus Plastik sind international bekannt, auch für Kenzo arbeitete der Künstler schon.
Niemals würde Amor Schnittblumen kaufen. Seine Buketts sind aus Plastik, wobei auch er experimentiert, um noch mehr Abfall verarbeiten zu können. Im Herbst will er neue Verfahren vorstellen, etwa die Verarbeitung von Zigarettenstummeln. Seine Botschaft? „Bewusst machen, dass der Mensch den Reichtum der Erde zerstört, deren Entstehung Milliarden von Jahren gedauert hat. Leider habe ich Angst, dass mir der Rohstoff Müll niemals ausgeht.“
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