Besuch im Machtzentrum vor der US-Wahl: Washington D.C. galt als kalt-steriler Tummelplatz von Polit-Apparatschiks und Lobbyisten. Dieses Image ist Geschichte – wie so vieles in der sehenswerten Hauptstadt der USA.
02.11.20, 05:00
Spätestens als mich die PR-Direktorin des Four Seasons zur „Royal Suite“ lotste, wurde mir so richtig bewusst, dass das Prädikat „Machtzentrum der Vereinigten Staaten“ für Washington D.C. keine billige Floskel ist. Dass die mit Swarovski-Bling-Bling und ähnlicher Edel-Deko bestückten Gemächer mit 370 Quadratmetern überdimensional sein würden, war nicht die Überraschung, sondern ein zusätzliches Verkaufsargument für eine hochkarätige Klientel: „Die Fenster sind kugelsicher. Als einzige in der Stadt und möglicherweise auf der ganzen Welt. Echt dickes Glas, glaube mir.“
Das Frühstücksrestaurant ist aktuell geschlossen – Covid, you know. Dabei hatte es dort beim Power Breakfast der vielen wichtigen Stammgäste aus der Politik-, Diplomaten- und Lobbyisten-Blase auch schon vor der Pandemie immer Sicherheitsmaßnahmen gegeben, wenn auch in der Light-Version: Die Tische standen weit auseinander, um nur ja keinem nachbarlichen Lauschangriff ausgesetzt zu sein.
Charmantes Georgetown
Draußen vor der Tür des Luxushotels hat kaltes Kalkül ausgedient: Georgetown, das älteste und vielleicht charmanteste Viertel der Hauptstadt, liegt einem in seiner ganzen Pracht zu Füßen. Elegante, von Blumen und Bäumen umflorte viktorianische Backstein-Townhouses, putzige Antiquitätenläden, schicke Boutiquen, Highend-Stores, Cafés, Bars, Restaurants. Eine lebendige, beseelte Mischung, immer mit einem Schuss jugendlicher Lässigkeit, die auch vom studentischen Publikum der altehrwürdigen Georgetown University herrührt.
Steht Georgetown für Easy Living und Amüsement, führt für geschichtsinteressierte Flaneure kein Weg an der „National Mall“ vorbei. Dieser über drei Kilometer lange luftige Park erstreckt sich zwischen Kapitol und Lincoln Memorial und ist von exzellenten Museen und Kriegsdenkmälern gepflastert. Die Mall ist außerdem eine populäre Festival-Location, wobei es zuletzt nicht wahnsinnig viel zu feiern gab. In der Trump-Ära wurde sie eher ausgiebig für Demos und Antirassismus-Veranstaltungen genutzt, von den Protesten der „Black Lives Matter“-Bewegung bis zum „Women’s March“ Mitte Oktober.
„I Have a Dream“
1963 war die Mall Schauplatz der berühmten „I Have a Dream“-Rede von Martin Luther King. Im Jänner 2009 drängten sich zwei Millionen Menschen auf dem Gelände, um die Amtseinführung des ersten schwarzen US-Präsidenten Barack Obama live mitzuerleben. Wie das gesamte städteplanerische Konzept geht die Mall auf eine Vision des französischen Architekten Pierre Charles L’Enfant zurück, der auf Bitten von George Washington die aus dem Boden gestampfte Hauptstadt der unabhängig gewordenen Vereinigten Staaten 1792 entworfen hatte. In seinen Plänen widmete er antiken Monumentalbauten reichlich Raum – stilistisch angelehnt an Wahrzeichen in Megametropolen der Alten Welt wie Paris, Rom oder London.
Grün, aber nicht sumpfig
Wenig überraschend, dass viele europäische Besucher Washington eine europäische Anmutung bescheinigen. Herrlich grün ist sie obendrein. Selbst in New York City würdigen sie mittlerweile die Stadt, die energetisch völlig anders tickt als der Big Apple und vor nicht allzu langer Zeit noch als (Polit-) „Sumpf“ runtergemacht worden war. So schrieb die New York Times erstmals 2018 von einem Imagewandel von „unterkühlt und verschnarcht“ auf „dynamisch“. „Man kann jetzt einige fantastische Tage in Washington verbringen, ohne auch nur einmal ein New York Strip Steak essen oder einen marmornen Flur entlang gehen zu müssen. Die faszinierende Historie und die vielfältige Kulinarikszene machen Washington zu einem der besten Städteziele des Landes.“
Vielleicht auch deshalb ist Barack Obama entgegen seiner ursprünglichen Absicht nach Ende seiner Amtszeit in Washington geblieben – als erster Präsident seit fast hundert Jahren, seit dem bettlägrigen Woodrow Wilson. Mit seiner Michelle logiert er in Kalorama in einem 8-Millionen-Dollar-Anwesen, das im Reichenviertel preislich nur von der Villa von Amazon-Boss Jeff Bezos übertroffen wird.
Wenn das Power Couple einmal in der Nachbarschaft gesehen wird, dann am ehesten beim Gassigehen mit den Hunden. Ein zufälliges Zusammentreffen mit Barack Obamas Nachfolger Donald Trump ist auch eher ausgeschlossen. War der fanatische Twitterant vor seiner Corona-Erkrankung selten, aber doch privat in Washington unterwegs, dann hielt sich der Radius in engen Grenzen: Dann checkte er maximal zur Date Night mit Melania im Steakhouse „BLT Prime“ ein, das sich praktischerweise im „Trump International Hotel“ in der Pennsylvania Avenue befindet, nur ein paar Blocks vom Weißen Haus entfernt.
Smithsonian Institution: Die 19 Museen und Galerien genießen zu Recht einen legendären Ruf – bei freiem Eintritt. Die Qual der Wahl wird derzeit erleichtert, weil einige geschlossen sind. Der jüngste große Wurf aber, das National Museum of African American History & Culture (Bild), hat geöffnet und beleuchtet großartig Glanz und Elend afroamerikanischen Daseins in den USA. Unter den Exponaten: Die Trompete von Louis Armstrong. nmaahc.si.edu
Ford’s Theatre in der Nähe der „Mall“: Präsident Abraham Lincoln wollte am 14. April 1865 Zerstreuung suchen – und bezahlte diesen Ausflug mit dem Leben: Der Konföderierten-Sympathisant John Wilkes Booth schoss dem Republikaner von hinten in den Kopf. Seit 14. Oktober 2020 kann der Schauplatz des Attentats wieder besichtigt werden. Karten für Theater und Museum müssen reserviert werden. fords.org
Klimafreundliche Anreise
Die AUA fliegt mehrmals pro Woche Wien–Washington. CO2-Kompensation via climateaustria.at: 62,84 €
Die Reisewarnung für die USA ist unverändert aufrecht – genauso wie das von Trump verhängte Einreiseverbot für die meisten Nicht-US-Bürger. bmeia.gv.at
Schlafen
Das Ritz Carlton Georgetown empfiehlt sich als gemütlich-stilvolles Basislager. ritzcarlton.com
Essen
Seit 1933 schätzen US-Präsidenten, Spione, Promis und Locals „Martin’s Tavern“ in Georgetown – ein Evergreen mit zeitloser Speisekarte: Fish and Chips, Shrimps-Cocktail, Burger, Prime Rib, Hummer-Risotto. 1953 machte hier JFK der späteren First Lady Jackie den Heiratsantrag. 1264 Wisconsin Ave NW. martinstavern.com
– Für feine Nahostküche steht das „Maydan“ im Shaw-Viertel. 1346 Florida Ave NW. maydandc.com
Trinken
„Primrose“, Bistro mit schrägen Straußenfeder-Lustern in Brookland, schenkt 15 Weine aus Frankreich und Virginia glasweise aus. 3000 12th St. NE. primrosedc.com
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