Das Comeback der Männer-Zöpfe
Als Pferdeschwanz gebunden oder im Heidi-Look geflochten: Männliche Laufstegmodels tragen jetzt Zopf. Der Look steht für nonkonforme Männlichkeit am Puls der Zeit. Richtig kombiniert, punktet er sogar im Business. .
Von Karin Lehner
Die Herren-Modeschau des chinesischen Designers Sean Suen für Herbst und Winter 2025 war eine sprichwörtlich haarige Angelegenheit. Die Models trugen geflochtene Zöpfe zur Schau, wie sie Fashionistas schon länger nicht gesehen hatten. In einer Mittel- und sogar Überlänge bis zur Hüfte, die jene von Obelix und Co. verblassen lassen.
Der Modeschöpfer dachte bei der Kreation der Kollektion an asiatische Cowboys, sagte er und versinnbildlichte die Inspiration in Form von Frisuren mit links wie rechts baumelndem Flechtwerk à la Heidi oder nach hinten gelagert wie bei Oma.
Mann trägt endlich wieder Zopf, Pferde- oder Rossschwanz, applaudierten Trendscouts. Der neue Look durch alte Zöpfe ist die in Form gebändigte Weiterentwicklung offener Zottelmähnen nach Vorbild der Tokio-Hotel-Brüder Bill und Tom Kaulitz, die bei älteren Semestern Erinnerungen an das Musical „Hair“ wecken. Damit schubst der Zopf den lange Zeit omnipräsenten „Man Bun“ vom Kopf, den Männerhaarknoten, wie ihn Hollywoodstar Bradley Cooper gerne zur Schau trägt.
Mähnen für den Umbruch
Laut Trendforscherin Christiane Varga ist das Comeback des Zopfs eine Folge des Retro- und Minimalismus-Trends. „Modedesigner setzen verstärkt auf klare Linien, Reduktion und Looks, die Körper und Kleidung stärker in den Vordergrund rücken. Ein schlichter Zopf bringt Ruhe in das Gesamtbild und lenkt den Fokus auf Silhouette, Material und Schnitt. Vielleicht ist er der Kontrapunkt zum unübersichtlichen Wandel, in dem sich die Gesellschaft gerade befindet.“
Mit politisch-korrekter Wokeness hat das aber nicht zu tun. Zöpfe sind kein Zeichen von Geschlechter-Fluidität, sondern von neuer Herrlichkeit. „Männer mit Rossschwanz setzen ein Statement und signalisieren: Ich bin unabhängig von traditionellen Männlichkeitsbildern und kreativ. Damit vermitteln sie Nonkonformität wie ästhetisches Bewusstsein“, sagt Varga. Der verstorbene Karl Lagerfeld könnte davon ein Lied singen. Er war passionierter Träger eines via schwarzem Haarband tief im Nacken gebundenen Pferdeschwanzes.
Der ikonische weiße Zopf: Modezar Karl Lagerfeld pflegte seine Haare mit Trockenshampoo.
©mauritius images / imageBROKER/imageBROKER/Mauritius ImagesLagerfeld blieb sich treu
Seine langjährige Mitarbeiterin Caroline Lebar gab in der US-Vogue preis, dass er in den 80er-Jahren überlegt hatte, sein Haar kürzer schneiden zu lassen und auf die charakteristische Frisur zu verzichten, die er seit 1976 trug.
Doch das PR-Team der Kosmetikfirma Clarins, mit der der Designer einen Duft entwickelt hatte, legte ihr Veto ein. Ein Lagerfeld ohne Zopf funktioniert marketingtechnisch nicht. Das wäre, wie wenn Chanel sein berühmtes CC-Logo ablegen würde. Ein No-Go. So blieb Karl der Große für den Rest seines Lebens Rossschwanzträger. „Es ist doch die bequemste Frisur, die es gibt“, erklärte er in Gala. „Man braucht nicht ewig zum Friseur rennen, ist immer gut frisiert und hat kein Haar im Gesicht.“ Männer bekommen heute ab 20 Euro einen einfachen Haarschnitt. Eine wuchernde und sprießende Mähne steht im Gegensatz dazu für einen Look, in dem Herren je nach Kontext immer noch dandyhaft auffallen.
Hollywoodstar Johnny Depp trug beim Gerichtsprozess mit Amber Heard einen Pferdeschwanz.
©EPA/SHAWN THEW / POOLAls Matt Damon für seine Rolle in „The Great Wall“ 2015 einen Zopf ausführte, sorgte er damit derart für Furore, dass ein Fan den Twitter-Account „Matt Damon’s Ponytail“ kreierte. Der Darsteller ließ sich für die Frisur 700 Haar-Extensions einarbeiten und widersprach Lagerfeld in puncto Pflege: „Das ist harte Arbeit.“ Lange Haare müssen gepflegt und nachgeschnitten werden, sonst droht fransiges Chaos. Geiger David Garrett, die Schauspieler Johnny Depp, Jared Leto und viele Rockstars wissen um die Marketingkraft des haarigen Anhängsels.
Matt Damon ließ sich für seine Rolle 700 Haar-Extensions einarbeiten.
©imago images/Everett Collection/Universal/Everett Collection/Imago-ImagesÄlteste Frisur der Welt
Zöpfe gehören zu den ältesten Frisuren der Welt. Erste Darstellungen reichen bis in die Antike zurück. Im Frühmittelalter trugen Wikinger aufwendig geflochtenes Langhaar. Es war ein sichtbares Zeichen von Mut und Stärke und hatte religiöse wie soziale Bedeutung. Im nordöstlichen China entwickelte sich im Volk der Manchu der Zopf zur typischen Männerfrisur des 18. Jahrhunderts.
In der Kreativ-, Tech- und Beraterbranche ist der Rossschwanz heute businesstauglich. Das wusste schon Wolfgang Amadeus Mozart. „In Metiers, in denen Individualität gefördert wird, kann der Zopf als Ausdruck von Charakter, Authentizität und moderner Führungskultur gelesen werden“, so Varga. Mit Gummi oder Band in Form gezurrt, bezeugt Langhaar laut der Trendforscherin sogar Sorgfalt.
Christiane Varga: Trend- und Zukunftsforscherin.
©Jenni Koller„Zöpfe sind mit einem täglichen Ritual verbunden, weil sie bewusst gemacht werden. Das zeigt: Da hat sich jemand mit seinem äußeren Erscheinungsbild auseinandergesetzt.“ In Kombination mit einem klassischen Anzug oder Jackett ergebe das einen „gut funktionierenden und bewusst kuratierten Look“ für die Arbeit. Lagerfeld streute sich zur Pflege seiner gebundenen Signature-Frisur stets weißes Trockenshampoo aufs Haupt.
Sein Hairstylist Sam McKnight erinnert sich. „Ich musste es immer von seinen Schultern abstauben, wenn er fotografiert wurde.“ Aber was tut Mann nicht alles, wenn er die Frisur fürs Leben gefunden hat.
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