Wo psychisch kranke Senioren professionell gepflegt werden

Wo psychisch kranke Senioren professionell gepflegt werden
Im "Haus der Barmherzigkeit" in Wien-Donaustadt hat man sich auf die Betreuung psychisch kranker alter Menschen spezialisiert.

Josefine F. „war eine köstliche ältere Dame“, erinnert sich die Psychiaterin Barbara Schreiber: „Mit ihrem Strohhut ist sie in ihrem Rollstuhl laut singend durch die Gegend gerollt. Wenn sie der Zwang überkam, schreien zu müssen, hielt sie sich daran, in ihr Zimmer zu gehen. Es war immer jemand von der Station bei ihr, bis sie wieder ruhig war. Sie hatte sich bei uns erstaunlich gut stabilisiert.“

Mit „bei uns“ meint sie das Pflegekrankenhaus Tokiostraße in Wien-Donaustadt, das zur Gruppe „Haus der Barmherzigkeit“ gehört. Primaria Schreiber hat dort 2011 begonnen, eine Abteilung für 56 psychisch Kranke aufzubauen: Menschen mit Schizophrenie, Angst- oder Borderlinestörungen etwa.

Nicht nur die Seele ist krank

„Diese Gruppe ist häufig nicht nur genetisch bedingt bereits in jüngerem Alter von Stoffwechsel-, Herz- oder Lungenerkrankungen betroffen, unsere derzeitigen Patienten sind zwischen 50 und 72 Jahre alt. Sie haben auch ein Selbstfürsorgedefizit und sind durch ihre psychische Erkrankung nicht dazu in der Lage, auf ihre Gesundheit zu achten. Dadurch werden sie früher pflegebedürftig.“

Der mittlerweile verstorbenen Josefine F. ging es nicht immer so gut. „Sie war zuvor in einem Pflegeheim, das nicht auf solche Patienten eingerichtet war: Sie saß alleine brüllend in ihrem Zimmer, alle haben sich gefürchtet und sie ist vereinsamt.“

Wo psychisch kranke Senioren professionell gepflegt werden

Haus der Barmherzigkeit

Demente Patienten

Die zweite große Gruppe, die von Schreiber und ihrem Team betreut wird, sind 56 Demenzpatienten, bei denen eine Veränderung der Persönlichkeit im Vordergrund steht: „Es gibt Demenzformen, die zunächst mit szenischen Halluzinationen und wahnhaften Symptomen einhergehen und erst sehr spät zu einem Gedächtnisverlust führen.“ Etwa Menschen, die überzeugt sind, dass sich andere Leute in ihrer Wohnung befinden und mit diesen kommunizieren; die einen Fremden als eigenen Partner verkennen oder im Spiegelbild einen Fremden sehen: „Das kann unglaubliche Angst auslösen.“

In herkömmlichen Pflegeeinrichtungen gebe es meist zu wenig Personal, um solche Patienten umfassend zu betreuen. Auch das psychiatrische Wissen sei meist nicht vorhanden: „Zeit- und Personalaufwand sind ungleich höher. Wir brauchen oft zweistündige Gespräche, um eine Situation zu entspannen.“ Und sowohl das ärztliche als auch das Pflegepersonal müsse psychiatrisches Fachwissen haben: „Wir müssen lernen, die Innenwelt jedes Patienten und seine Sprache zu verstehen. Das ist aufwendig, aber auch sehr bereichernd.“

Auch ich in der Nacht

Wegen des hohen Betreuungsaufwandes seien auf jeder Station auch zwei pflegerische Nachtdienste notwendig. „Und zu unserem Team gehören auch Psychologen und Psychotherapeuten, eine Kunsttherapeutin und eine Ergotherapeutin, die auch Tischlerin ist.“

Dass dieses Konzept erfolgreich ist, zeigt der Umstand, dass es „seit 2011 sehr selten und immer seltener notwendig war, einen Bewohner auf die Akutpsychiatrie in einem Krankenhaus zu bringen“. Schreiber hat selbst 20 Jahre im Bereich der Akutpsychiatrie gearbeitet und Menschen in Krisensituationen betreut. „Was ich dort aber immer vermisst habe, war die Möglichkeit, eine akute Krise nachzubesprechen, den Problemen auf den Grund zu gehen, die Patienten dauerhaft zu begleiten.“

Stabile Beziehungen

Genau das sei aber in der Tokiostraße möglich: „Hier kann sich über einen längeren Zeitraum eine stabile Beziehung zu dem betreuenden Team entwickeln. Das ist für psychisch Kranke enorm wichtig. Dadurch hat sich der Zustand all unserer schizophrenen Patienten verbessert.“ Wichtig sei besonders, die Patienten in ihrer ganzen Persönlichkeit zu respektieren: „Sie merken rasch, ob man das tut oder nicht.“

Dementsprechend passe auch der Name der Trägerorganisation ihrer Einrichtung sehr gut, sagt Schreiber: „Bei Barmherzigkeit geht es nicht um Mitleid. Es geht darum, die innere Not des Patienten zu sehen und zu versuchen sie zu lindern. Und genau das versuchen wir hier.“

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