Warum wir neue Superhelden brauchen
Vor mehr als achtzig Jahren schmiss sich Clark Kent erstmals ins Cape, um die Welt zu retten. Bis heute hat der Superhelden-Mythos nichts von seiner Anziehungskraft verloren: Filme wie „Black Panther“ oder „The Avengers“ locken die Massen ins Kino, der amtierende US-Präsident inszeniert sich im Internet als Superman. Warum zieht das Bild vom starken Mann immer noch? Lisz Hirn betrachtet das Phänomen „Superhelden“ aus philosophischer Perspektive. In der freizeit liefert sie Antworten und Denkanstöße.
freizeit: Ihr letztes Buch handelte von Geschlechterrollen, Emanzipation und Männlichkeit in der Krise – wie viel davon steckt im Thema Superhelden?
Lisz Hirn: Was mich an der Diskussion fasziniert hat, war, anzuschauen, welche Symbole, Figuren, Mythen unser Bild von Männlichkeit prägen. Da kommt man dann schnell zu den Superhelden, weil sie nicht nur die Weiterentwicklung klassischer Helden sind, sondern auch perfekt ausgestattet sind für unsere Zeit.
Was genau unterscheidet den klassischen Helden vom Superhelden?
Die klassischen griechischen Helden, nehmen wir etwa Achilles, sind immer auch an den regionalen, später nationalen Kontext angepasst. Durch die Globalisierung und modernen Technologien, die ökologischen und digitalen Herausforderungen, ist die klassische Definition von Held – der gut aussehende, körperlich starke Mann, der vor allem durch seine Tapferkeit und Durchschlagskraft im militärischen Kontext als Held definiert wurde – obsolet geworden. Krieg im klassischen Sinne gibt es nicht mehr, stattdessen haben wir es mit Konflikten globalen Ausmaßes zu tun.
Einer der ersten Superhelden war „Superman“,1938 als moralischer Gegenspieler der Nationalsozialisten erfunden. Was können wir von ihm lernen?
Witzig ist, dass die Superman-Schöpfer Jerry Siegel und Joe Shuster ursprünglich von Nietzsches Übermenschen ausgegangen sind: Sie wollten eine Figur schaffen, die eine unglaubliche geistige Begabung und einen unbändigen schurkischen Willen zur Macht hat, doch kein Verlag wollte dieses Konzept. So ist „Superman“ vom geistig überlegenen zum körperlich überlegenen Superhelden geworden. Ihm geht es weder um Ruhm noch um Frauen, er handelt aus reinem Pflichtbewusstsein. Er ist, wie alle Superhelden, eine starke Verkörperung von moralischen Kategorien. Genau das macht es aber auch schwierig, sie rein positiv zu sehen. Superman ist der perfekte Untertan, er versucht, das System mithilfe seiner Superkräfte aufrechtzuerhalten. Das passt sehr gut in das neoliberale Bild von Optimierung, von stärker, schöner, besser, braver.
Ihre These lautet, dass wir auch selbst immer mehr zu Superhelden werden möchten. Was sagt das über uns aus?
Ich finde diesen Drang, alles vermessen zu wollen, beunruhigend. Was mich wirklich zum Nachdenken gebracht hat, waren diese Apps, die neuerdings sogar den eigenen „Meditationsfortschritt“ messen und auswerten, wie „gut“ die Meditation war. Die Idee der Meditation wird damit vollkommen karikiert, plötzlich messen wir sogar die letzten Zufluchtsorte. Und es geht weiter: Kann man Moralität messen? Wie wollen wir evaluieren, wer moralisch besser ist? Nehmen wir das Beispiel China, wo für (moralisch) korrektes Verhalten Punkte vergeben werden. Es geht also gar nicht mehr nur darum, das Individuum zu optimieren, was wir ohnehin schon lange machen – jetzt kommt diese Komponente auch noch dazu.
Ist es an der Zeit, dass wir uns als Gesellschaft von der Sehnsucht nach einem Superhelden emanzipieren?
Das Bedürfnis nach Vorbildern, glaube ich, wird es immer geben. Wir sollten aber überlegen, welche Helden wir uns suchen und ob wir nicht die falschen verehren. Erdogan, Johnson, Kim Jong-un oder Trump: Vielleicht sind ja die „starken Männer“ auch ein Symptom dafür, dass wir noch immer auf die falschen Vorbilder setzen. Die Ideologie des starken Mannes, der sich im Notfall alles nehmen kann, der Zwang und Stärke beweisen muss und Gewalt ausübt – diese Art von „Supermännlichkeit“ wäre kritisch zu hinterfragen. Es geht nicht darum, alle Männer zu bashen, sondern darum, dass es eine problematische Idee von Männlichkeit gibt, die dazu führt, dass Krisen eskalieren oder überhaupt erst entstehen. Das ist also keineswegs als pauschale Abwertung von Männern misszuverstehen.
Die Welt wird komplexer, gefühlt taucht täglich eine neue Bedrohung auf. Welche Rolle spielen Ängste in der Superhelden-Sehnsucht?
Wir haben ja mittlerweile nicht nur alternative Fakten, sondern auch alternative Ängste und fürchten uns oft vor dem Falschen. Leider führen unsere Ängste oft dazu, dass wir uns nach jemandem sehnen, der sagt: Ich nehme eure Angst ernst, ich habe eine einfache und klare Lösung dafür.
Klingt nach Donald Trump. Es ist wohl kein Zufall, dass er sich selbst immer wieder als Superman stilisiert ...
Trump profitiert davon, dass er den ersten US-Superhelden Superman für sich instrumentalisieren konnte. Wenn Rapper Kanye West zu ihm ins Oval Office kommt und sagt, mit der roten Trump-Kappe fühle er sich wie Superman, dann funktioniert dieses Bild. Man darf nicht vergessen, dass Helden zu den wirkmächtigsten Fantasien gehören. Sie lassen sich über Jahrtausende erhalten, werden von Generation zu Generation tradiert. Kurz: Sie lassen sich super verkaufen.
Vergleicht man Superman aus den 1930er Jahren mit den heutigen Politikern, drängt sich die Frage auf: Ist Moral kein Kriterium mehr, um als Held verehrt zu werden?
Auch in der Politik muss gelten, dass zwar jeder das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten hat. Wenn wir von Politikern erwarten, dass sie moralisch handeln, könnte das bedeuten, dass das für uns vielleicht unangenehme Folgen hat und wir in der einen oder anderen Sache zukünftig für das Wohl anderer oder aller zurückstecken müssen, siehe Nichtraucherschutz, -Steuer etc. Da müssen wir uns fragen: Sind wir als Wähler dazu bereit? Oder beschließen wir dann, diese unbequemen Politiker einfach nicht mehr zu wählen?
Zurück zu den fiktiven Superhelden: Zuletzt hatte man das Gefühl, dass diese öfter vom Klischee abweichen, siehe die Kinohits „Black Panther“ oder „Birds of Prey“. Ein positives Signal aus Hollywood?
Die Filmstudios haben Interesse daran, dass sie neue Märkte und Publikum erschließen, und das geht, indem sie mehr Möglichkeiten zur Identifikation schaffen. Was gleich bleibt, ist der Anspruch, dass sich Männlichkeit an Muskeln zeigt, obwohl diese ja keinen Zusammenhang mit den Superkräften haben. Auch die typischen Frauenklischees bleiben intakt. Das ist wenig überraschend, wenn man bedenkt, dass die Drehbücher zum Großteil von Männern für Männer geschrieben werden, also konventionelle Männerfantasien bedienen.
Warum tun wir uns so schwer, neue Bilder zu erzeugen?
Neue Fantasien zu entwerfen, ist eine große Herausforderung. Wir brauchen neue Helden, die das Gewaltthema besser adressieren. Helden sind immer Sehnsuchtsbilder und zeigen, was in einer Gesellschaft gerade Thema ist. Insofern fand ich den Film „Joker“ spannend, weil er sich nicht als typischer Superheldenfilm qualifiziert. Dieser Superschurke stellt die soziale Ordnung schließlich radikal in Frage und zeigt damit auch ein aktuelles Thema unserer Gesellschaft: System um jeden Preis erhalten oder es ändern?
Lisz Hirn, 35, geboren 1984 in Leoben, studierte Geisteswissenschaften und Gesang in Graz, Paris, Wien und Kathmandu. Sie arbeitet als Publizistin und Philosophin in der Jugend- und Erwachsenenbildung, unter anderem am Universitätslehrgang „Philosophische Praxis“ der Universität Wien unter der Leitung von Konrad Paul Liessmann. Sie ist Obfrau des Vereins für praxisnahe Philosophie und im Vorstand der Gesellschaft für angewandte Philosophie. Ihr neuestes Buch „Wer braucht Superhelden. Was wirklich nötig ist, um unsere Welt zu retten“ (Molden Verlag, 160 Seiten, 22 Euro) ist ab 6. März 2020 im Handel erhältlich und wird am 4. März 2020 in der Buchhandlung Hartliebs Bücher (Porzellangasse) von der Autorin vorgestellt. Ab 11. März 2020 widmet sie sich in dem Podcast „Philosophieren mit Hirn“ (abrufbar auf allen gängigen Plattformen) regelmäßig aktuellen philosophischen Themen.
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