„Schau deinen Hintern an, ist der nicht zu dick?“ – „Du bist faul.“ – „Du hast Falten.“ – „Das wirst du niemals schaffen.“ Wer das alles sagt? Nicht die anderen, nein – sondern der Feind im eigenen Kopf, diese subtil zischelnde Stimme, die als Dämon auf den Schultern hockt und stets kritisch beäugt, was eine Person macht und wie sie ist.
Experten nennen sie „innerer Kritiker“ – er ist vielen ein altbekannter Begleiter, der gerade zu Jahresbeginn verdammt gute Karten hat und seine unsensiblen Fingerchen in unverheilte Wunden legt. Da prahlen die anderen mit ihren guten Vorsätzen, wie fit, wie dünn, wie schön, wie perfekt sie ab sofort sein wollen. Also beginnt man ebenfalls Diätpläne und Suppenrezepte zu studieren sowie die Springschnur auszupacken, weil: irgendwas ist immer.
„Mach was“, sagt die kritische innere Instanz dann verbissen, Tage später sitzen wir mit der neuen, teuren Karte fürs Fitnessstudio herum und zwingen uns zum Hantelstemmen oder Schlürfen von Eiweißdrinks. Und weil man den inneren Kritiker nur allzu gut kennt, wird gleichzeitig klar: Was auch immer ich versuche, zu verändern, es wird nicht genügen.
Niemals.
Der Perfektionist in uns
Höchste Zeit, den inneren Kritiker ein bisschen zum Schweigen zu bringen oder sagen wir so: Ihn zu enttarnen, als das, was er wirklich ist: eine spannende und mitunter gar nicht so unwichtige Stimme, die zwar da ist, aber nicht dauernd das Sagen haben sollte.
Positiv betrachtet, hat der innere Kritiker natürlich seine Berechtigung und das Zeug, uns vor wirklich gefährlichen Dingen zu warnen oder auf etwas aufmerksam zu machen, das schaden könnte. Eine Art Aufpasser, ein Alarm, der aber nur anspringen darf, wenn es tatsächlich einen Grund dafür gibt. Immerhin hat’s so mancher „Aufpasser“ ja geschafft, den einen oder anderen davon abzuhalten, den Rest seines Lebens zwei Packerln Tschick täglich zu rauchen. Doch abseits davon gilt: Ruhe, bitte. Denn er ist es natürlich auch, der uns mit seinem Perfektionismusirrsinn nicht nur zu Jahresbeginn unter Druck setzt, sondern viele auch den Rest der Zeit mit seinen „Du-musst/Du-solltest-endlich-Mantras“ tyrannisiert. Damit sabotiert er das Selbstvertrauen einer Person und sagt mit gnadenloser Härte, wie jemand zu leben hat – ohne Rücksicht auf das, was jemanden in seinen vielen Facetten wirklich ausmacht.
Du sollst ...! Wirklich?
Und so kritisch wir mit dem inneren Kritiker umgehen sollten, sollten wir es auch mit den guten Vorsätze tun: Du sollst dünner werden. Du musst deine Oberschenkel trainieren. Du musst dich noch mehr anstrengen.
Eh nett, aber vielleicht gerade nicht das Passende? Überhaupt, wenn wir diese Vorsätze nur fassen, weil sie von anderen gefasst wurden, weil uns das irgendwelche Influencer in den sozialen Medien vorhüpfen oder Diätbuch-Autoren das große Geschäft machen wollen. Eine Optimierungsbürde, die man sich ins Leben holt, denn egal, was auch passieren mag, der innere Kritiker wird sowieso immer nur das Negative sehen und das Gefühl vermitteln, man sei falsch.
Das Ergebnis: „Der Selbstwert und das Selbstvertrauen werden noch schwächer, die kritische Instanz gewinnt noch mehr an Terrain. Das wiederum führt auf Dauer zu einem lieblosen Umgang mit der eigenen Person und verhindert die Entwicklung und Entfaltung des Eigenen“, sagt die psychologische Beraterin Petra Faustka.
Jenseits von richtig und falsch
Doch was genau ist dieses „Eigene“ eigentlich? „Jenseits von Richtig und Falsch gibt es einen Ort, dort treffen wir uns“, besagt eine Weisheit von Rumi. Um diesen Ort für sich zu entdecken, sollte man den inneren Kritiker und „Aufpasser“ nicht brutal abweisen, sondern gut schauen, was ihn genau antreibt. Oft spiegeln sich darin kindliche Ängste, die man bis ins Erwachsenenalter mitgeschleppt hat.
„Es ist wichtig, sich mit dieser Instanz auseinanderzusetzen – indem man zunächst einfach akzeptiert, dass sich der innere Kritiker meldet“, rät Faustka. Das ist auch mit Fragen verbunden, wie: Woher kommt der Gedanke, ich sei zu schwach, zu schlecht, zu dick? Was steckt wirklich dahinter? Das kann vieles sein, Kränkung zum Beispiel oder die Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe. Eine Form von Überlebensstrategie: „Indem ich dem inneren Kritiker nachgebe, vermeide ich Strafe, Ausgrenzung, Liebesentzug oder das Zeigen von Schwäche.“
Der Realitätscheck
Doch wie ist und war es wirklich? Da bringt der Realitätscheck einiges, verbunden mit Fragen, wer, was und wie ich bin. Wie man von andere Menschen gesehen wird. Oder ob es tatsächlich so ist, dass einem noch nie was gelungen ist und man noch nie etwas zu Ende gebracht hat. „Mit diesem inneren Prozess und Dialog kann ich den inneren Kritiker und seine Glaubenssätze dahingehend verändern, als ich selbst zu einer Stellungnahme komme, wie es tatsächlich ist“, so Faustka.
Womit wir erneut bei den guten Vorsätzen sind, die ja nicht automatisch schlecht sind, solange sie authentisch sind und eigene Wünsche und Werte spiegeln. Bevor man sich also vom „inneren Aufpasser“ in etwas reintreiben lässt, stellt sich die Frage: Wofür will ich das machen? Wird mein Leben dadurch besser, erfüllter, anders? Entspricht das, was ich mir vornehme, meinem Lebensziel und meinen Werten? Will ich das wirklich? Tut mir das gut? Kann ich spüren, dass mir das wichtig ist?
Faustka: „Genau diese Fragen führen zu einer persönlichen Entscheidung, ob ich ein Ziel, einen Vorsatz weiter verfolgen, lassen oder anders gestalten will. Erst dann wird man Gestalter des eigenen Lebens.“ Und die gefassten Vorsätze werden zu echten Vorhaben, die sich deshalb einfacher realisieren lassen – und nicht, weil irgendeine lästige Stimme in uns das so wollte.
Lesen Sie morgen: Die ewig guten Vorsätze. Eine Geschichte des Scheiterns
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