Die ewig guten Vorsätze: Eine Geschichte des Scheiterns
Derzeit ist der Kühlschrank leer, weit und breit liegt kein Keks-Packerl herum. Man wähnt sich nicht in der Wohnung eines Menschen, der eine besondere Beziehung zum Thema Essen hat.
Michael „Micky“ Klemsch ist seit einem Vierteljahrhundert mit dem Thema Abnehmen beschäftigt. Momentan hat der 53-Jährige wieder 160 Kilo. Es war schon einmal schlimmer. Als er die Zweihunderter-Marke sprengte, hat er zum ersten Mal versucht, sich zu halbieren. Bis 120 Kilo hat er es geschafft, seither geht es immer wieder auf und ab. „Für mich ist Abnehmen ein langer, nicht beendeter Kampf.“
Wie es soweit kommen konnte?
„Ich war einmal ein sehr sportlicher Mensch. Bis zu meinem dreißigsten Lebensjahr habe ich sogar Leistungssport betrieben, bin Marathons gelaufen, habe Fußball gespielt. Irgendwann ist sich das beruflich nicht mehr ausgegangen. Doch ich habe weiter gegessen, als würde ich noch Sport betreiben.“
Spaghetti Carbonara, Eismarillenknödel, Cordon bleu. Generell am liebsten Herausgebackenes. „Bier und die Erfindung des gebackenen Emmentalers sind mitverantwortlich dafür, wie ich aussehe.“ Sein eigentliches Problem, sagt Klemsch, sei nicht Qualität, sondern Quantität. „Ich weiß, dass ein Avocadobrot gesünder als ein Germknödel ist. Aber fünfzehn davon sind auch nicht gut.“
Michael Klemsch über Diät
Kaum Diäten
Das Übergewicht ist schleichend gekommen. Zuerst hat der Gürtel nicht mehr gepasst, später hat sich Micky Klemsch größere Hosen gekauft, und irgendwann hat er begonnen, das Hemd über der Hose zu tragen. „Zwischen dreißig und vierzig ist es richtig arg geworden. Mit 38 hatte ich das erste Mal über zweihundert Kilo.“
Wie viele Diäten er ausprobiert hat? „Gar nicht so viele. Ich habe einfach versucht, weniger zu essen. Heute bin ich mir allerdings darüber klar, dass das nicht reicht. Es gibt tieferliegende Gründe, warum ich so viel futtere. Da hilft nur Therapie.“ Eigentlich weiß Micky Klemsch ja, warum er nachts so oft zum Kühlschrank spaziert. „Mich macht leicht etwas traurig. Ich bin sehr sensibel. Manchmal suche ich mein Glück bei Schokolade oder Bier.“
Und die guten Vorsätze? Sie kommen und gehen.
„Würde man mein Gewicht im Lauf der Zeit auf einer Skala einzeichnen, dann würde das wie ein Herzdiagramm aussehen. Einmal geht es ganz rauf und dann wieder ganz runter. Vor einem halben Jahr habe ich dreißig Kilo weniger gehabt.“ Im Herbst wird es immer ärger. „Ich bin Sternzeichen Bär, ich muss vor dem Winterschlaf viel essen.“ Micky Klemsch lacht leicht verlegen. Den deprimierenden Jojo-Erfahrungen versucht der Journalist, der sich beruflich ausgerechnet mit Gastronomie befasst, immer wieder, eine humorvolle Seite abzuringen. Er hat ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben „Micky halbiert sich (nicht)“, erschienen im Verlag K&S. Es ist mit dem selbstironischen Vermerk „keine Erfolgsstory“ versehen. Vom Zweihundert-Kilo-Schwergewicht wollte er zum „Uhu“, zum „Unterhundert“ werden. Illusorisch. Sein „Wohlfühlgewicht“ liegt bei 120 Kilo. Da will er jetzt wieder hin. Darum hat er derzeit auch keine Trostspender im Kühlschrank.
Besessen vom Körper durch die Jahrhunderte: Diäten im Wandel der Zeit
Mittelalter-Schwitzen
Übergewicht war in der Zeit der Hungersnöte und Krieg wenig wahrscheinlich.Wer es doch schaffte, dem empfahlen Ärzte Schwitzkuren und Körperwickel mit Kräutern, heute zum angeblichen „Entgiften“ beliebt.
Turnen mit Sisi
Ohnmachtsanfälle dank Korsett, um schlank wie Sisi zu sein: Die Kaiserin von Österreich (1837-1898) maß um die Taille nur 46 Zentimeter. Sie turnte wie besessen und aß oft nur Orangen.
Zeit der Scharlatane
Im 20. Jahrhundert tauchten Wundermittel und Radikalkuren auf. Die Wodka-Bockwurst-Diät, ein DDR-Klassiker, die Atkins-Diät mit Steak, Speck und Eiern oder die magische Kohlsuppe. Maria Callas (1923 - 77) setzte auf Champagner und Bandwurm.
Nichts als Semmeln
Der Mediziner Franz Xaver Mayr (1875-1965) entwickelte das Semmel-Fasten. Der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl (1930-2017) war Fan, sein Gewicht blieb dennoch „Staatsgeheimnis“.
Hippokrates-Methode
Schon die Griechen wollten schlank sein, ein Bauch galt als Zeichen von Verweichlichung.Der Arzt Hippokrates (460 - 370 v. Chr) empfahl Zweifelhaftes: Erbrechen, Schlaf auf hartem Bett und Sexverzicht.
So wie Micky Klemsch versuchen dieser Tage wieder tausende Österreicher, dem Übergewicht den Kampf anzusagen. Wegzukommen von der Couch, auf der sie möglicherweise die Feiertage verbracht haben. Die Motivation dafür zu finden, ist eine Herkulesaufgabe, dran zu bleiben mindestens ebenso schwer.
Das ewige Verlangen
Ob Ratgeber dabei helfen können? Zwei Wiener Ärzte versuchen es zumindest: „Abnehmen für hoffnungslose Fälle – Hardcore-Tipps aus der Suchtmedizin“ (edition a) heißt das Buch, das Methoden der Suchtmedizin für das Essverhalten adaptiert.
Shird Schindler, leitender Arzt am Sozialmedizinischen Zentrum des Wiener Otto Wagner Spitals, und seine Kollegin, die Neurochirurgin und Psychiaterin Iris Zachenhofer, beschreiben darin Kontrollverlust durch Verlangen, in der Suchtmedizin „Craving“ genannt, und die Gegenmittel („Skills“), die sich auch beim Essen anwenden lassen. Heißes Kerzenwachs auf den Oberarm tropfen oder einen Gummiring ans Handgelenk schnalzen lassen, etwa. Oder laut Hardrock zu hören. Das könne Prozesse auslösen, die das Verlangen in den Hintergrund drängen.
Hasswörter
Überraschend sind die Empfehlungen in Sachen Sport und gesunde Ernährung. Diese Begriffe seien bei vielen als „Hasswörter abgespeichert“. Man solle sich nicht dazu zwingen, das könne eine gegenteilige Wirkung haben.
„Wenn man einmal 200 Kilo hat, dann hat das natürlich mit Sucht zu tun“, sagt Micky Klemsch selbsteinsichtig. „Ich koche immer zu viel für mich allein, und ich muss einfach alles aufessen.“ Er kennt seinen Körper und er weiß, dass er schnell abnehmen kann. Und ebenso schnell wieder zu. Denn der Körper habe die Fettzellen ja schon gebildet. „Es ist wie bei einem Alkoholiker: Wenn man einmal drinnen ist, ist es ein ewiger Kampf. Es gibt wenige, die es dauerhaft schaffen.“ Wie es weiter geht?
Er will tapfer bleiben. Gesprächstherapie machen und weiterkämpfen.
Mitglied im Fitness-Center: Zahlen allein hält noch nicht fit
Etwa 1.239 Fitness-Studios gibt es in Österreich, die Zahl der eingeschriebenen Mitglieder beträgt laut Wirtschaftskammer (WKO) 1.073.000. Wie viele davon tatsächlich regelmäßig trainieren, dazu gibt es weder bei der WKO noch in einzelnen Betrieben Daten. Spartensprecher Gerhard Span vermutet: „Je niedriger der Preis, desto niedriger die Motivation.“ Sicher ist: Scheitern ist Thema im Sport. „Man versagt öfter, als man erfolgreich ist. Das gilt für Spitzensportler ebenso wie für Normalbürger“, sagt Sportsoziologe Otmar Weiß. Was die guten Vorsätze anbelangt: „Sich etwas vornehmen und es nicht schaffen ist okay. Man kann täglich neu beginnen. Jetzt, zu Jahresbeginn, schreiben sich wieder viele in den Fitness-Centern ein. Hier sind die sogenannten fördernden Mitglieder, also jene, die zahlen, aber nicht hingehen, natürlich ein wichtiger Faktor.“
Bei luxuriöseren Fitness-Centern sei die Motivation höher, nicht nur wegen der Finanz-Skrupel, sondern auch, weil dort das Ambiente einladender sei. Selbstdisziplin sei gerade zu den Feiertagen schwierig: „Bewegungsarmut ist die Epidemie des 21. Jahrhunderts.“ Weiß appelliert, Geduld mit sich zu haben. Wenn die Tage wieder länger werden, steige auch die Lust, in die eigene Fitness zu investieren: „Bleiben Sie souverän. Es bringt schon viel, wenn Sie die Alltagswege zu Fuß gehen und Stiegen steigen.“
Rückfall nach einer Zigarette: „Ein Lagerfeuer, wo die Glut nicht erlischt“
Dreimal zu scheitern ist normal beim Rauchen aufhören.
Soll man sich, nach all den beunruhigenden Berichten darüber, das Rauchen abgewöhnen? Alles eine Sache der Disziplin. Die muss man schon aufbringen, um die Alarmmeldungen über das Rauchen nicht mehr zu lesen. „Die Kunst, sich das Rauchen nicht abzugewöhnen“ heißt nur eines von Italo Svevos Büchern über die erfolglose Suchtbekämpfung. Der Triestiner Schriftsteller (1861–1928) kam sein Lebtag nicht von der Zigarette los. Auf dem Sterbebett sagte er: „Das wäre wirklich die letzte gewesen.“ Die Literatur ist voll von Typen, die am Entzug scheitern. Nicht immer so fröhlich wie Mark Twain, der meinte, mit dem Rauchen aufzuhören sei kinderleicht, er habe es „schon hundertmal“ gemacht.
Drei Anläufe
Der Weg vom Raucher zum Nichtraucher ist steinig und nimmt Umwege. „Die meisten brauchen drei Anläufe, um sich das Rauchen abzugewöhnen“, sagt die Gesundheitspsychologin Melanie Stulik. Wer es geschafft hat, erinnert sich meist gar nicht mehr daran, wie oft er es versucht hat. Oder er verdrängt, wie schwierig es war, nikotinabstinent zu werden. Schließlich ist der Suchtfaktor von Nikotin vergleichbar mit jenem von Heroin: Innerhalb von sieben Sekunden ist der Kick im Gehirn da. Nur ein Raucher von zehn schafft es ohne Unterstützung, konsequent rauchfrei zu bleiben.
Für Rückfälle gibt es eine „Dreierregel“: Sie passieren häufig am dritten Tag, in der dritten Woche oder im dritten Monat. „Kaum wirft einen etwas aus der Bahn, greift man zur Zigarette. Deshalb braucht man Rückhalt. Telefonische Beratung oder ein ambulantes oder stationäres Programm“, sagt Stulik. Ob man als Ex-Raucher jemals aus der „Gefahrenzone“ heraus komme? „Ein Ex-Raucher wird niemals Gelegenheitsraucher. Schon eine Zigarette kann zum Rückfall führen, weil sie das Suchtgedächtnis aktiviert. Es ist wie bei einem Lagerfeuer, wo die Glut nicht erlischt. Ein Windhauch reicht, um es zum Lodern zu bringen.“
www.rauchfrei.at
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