„Zusätzliche Straßen bringen nicht mehr Produktivität“
Das Forum Wissenschaft und Umwelt (FWU) wurde vor 40 Jahren gegründet – auch um die Donau-Auen vor der Zerstörung durch das Kraftwerk Hainburg zu retten.
Reinhold Christian war als Planungsdirektor des Nationalparks Donauauen maßgeblich an dessen Entwicklung beteiligt. Heute kämpft er mit dem FWU wieder um die Donau-Auen.
Konkret um jenen Teil bei der Lobau, in dem „ein Loch durch den Kopf des Nationalparks“, wie es Verkehrsplaner Hermann Knoflacher nennt, gebohrt werden soll: Der 8,3 Kilometer lange Lobautunnel im Zuge der Errichtung der S1.
„Sind Sie verrückt?“, soll der damalige Umweltstadtrat Michael Häupl (SPÖ) zu Christian gesagt haben, als dieser mit ihm über Pläne geredet habe, eine Autobahn entlang des – nie realisierten – Donau-Elbe-Kanals durch die Lobau zu bauen.
Hanke will so rasch wie möglich bauen
Der SPÖ-Verkehrsminister Peter Hanke hingegen will diese Autobahn – und auch Häupl hatte in seiner Amtszeit als Bürgermeister nichts dagegen, im Gegenteil. Dabei war das Projekt „Ostautobahn aus dem Reichsautobahn-Streckenverzeichnis (1933-1945)“, wie Knoflacher betont, zwischendurch aus dem Bundesstraßennetz entfernt worden.
„Wien hat damals den innerstädtischen öffentlichen Verkehr gestärkt und steht deshalb heute damit so gut da“, verweist er auf die Wirkung nicht geplanter Straßen auf guten öffentlichen Verkehr. Jetzt findet sich die S1 im Bundesstraßengesetz und ist durch Hankes Entscheidung einer Realisierung näher denn je.
Die S 1
Die Wiener Außenring-Schnellstraße ist als Lückenschluss zwischen Schwechat und Süßenbrunn mit dem Tunnel Donau-Lobau im Regionenring um Wien vorgesehen, erläutert die Asfinag das Projekt.
Die Strecke
Insgesamt ist die Strecke 19 Kilometer lang, 8,3 Kilometer sollen als Tunnel unter der Lobau errichtet werden.
Die Kosten
Die Asfinag geht derzeit von 2,7 Milliarden Euro Baukosten für die S 1 aus.
Unterschiedliche Studien
Was Hanke noch nicht aus der Hand gibt: Jene Studie, mit der er seine Entscheidung für den „notwendigen Bau der S1, um den Wirtschaftsstandort der Ostregion zu sichern und die Lebensqualität der Menschen zu verbessern“ begründet hat.
Studien, die das Gegenteil belegen, legen hingegen Wissenschafter des FWU und der TU Wien vor. Infrastruktur-Ökonom Michael Getzner hat für eine Studie des Umweltbundesamts zum Lobautunnel etwa erhoben, wie sich Straßenbau auf die Produktivität – und somit auf die Wirtschaftskraft – auswirkt.
Sein Ergebnis: „Wo die Infrastruktur gut ausgebaut ist, wie in Wien, kommen 50 Prozent der Studien zum Ergebnis, dass Straßenbauten zu einem gerade noch messbaren Produktivitätszuwachs führen.“ 30 Prozent sagen, es gibt keinen Zuwachs, 20 Prozent der Studien sagen sogar, neue Straßen würden die Produktivität verschlechtern.
Mehr zusätzliche Wertschöpfung möglich
Dass der Bau des Tunnels zusätzliche Wertschöpfung bringe, stellt Getzner nicht in Abrede, er sagt aber: „2,7 Milliarden Euro in Gesundheit, Forschung, Digitalisierung, Kultur oder Klimaschutz investiert, hätten eine noch viel größere Wirkung, als beim Straßenbau.“
Zu Wort meldet sich auch die Doyenne der Klimaforschung in Österreich, Helga Kromp-Kolb. Sie verweist darauf, dass bei allen Klimazielen die Emissionen, die beim Bau des Tunnels und auf der neuen Straße entstehen, nicht eingepreist sind.
Das bedeute, dass in allen anderen Sektoren noch mehr und noch schneller CO2 reduziert werden müsse. Denn schon jetzt steige der Ausstoß von CO2 im Verkehrssektor, der immerhin 30 Prozent der Emissionen verursache, weiter. Kromp-Kolb: „Wer Klimapolitik ernst nimmt, muss das System verändern, nicht nur den Antrieb der Fahrzeuge.“
Denn mit ernst gemeintem Klimaschutz, der öffentlichen Verkehr forciere und auf Radfahren und Fußgänger setze, würden sich Verkehrsprobleme wie Staus leicht lösen lassen, ist sie überzeugt.
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