Causa Wienwert: Es wird ernst für "Messerstecher-Ernstl"

Ernst Nevrivy,Josef Taucher
Die Wiener SPÖ steht vor einer Richtungsentscheidung: Wie positioniert sie sich juristisch im Prozess gegen ihren Bezirkschef Ernst Nevrivy? Immerhin soll er die Steuerzahler um 850.000 Euro geschädigt haben.

Der Donaustädter Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy ist ein mächtiger Mann. Anders ist es nicht zu erklären, dass der Rote immer noch unbeirrt seinen Amtsgeschäften nachgehen kann. In wenigen Wochen aber wird es ernst für den 57-Jährigen – und damit für die SPÖ und nicht zuletzt Bürgermeister Micheal Ludwig persönlich.

Wir erinnern uns: Die Anklagen in der Causa Wienwert, in der Nevrivy ebenso wie der damalige ÖVP-Chef Karl Mahrer verwickelt sein sollen, wurden nur zwei Monate vor der Wien-Wahl im April publik. Während Mahrer damals aus der eigenen Partei ohne Umschweife den Rücktritt nahegelegt bekam, hielt die SPÖ ihrem Bezirkschef unbeirrt die Treue. Auch die Tatsache, dass parallel in der Kleingarten-Affäre wegen Amtsmissbrauch gegen Nevrivy ermittelt wird, ändert(e) daran nichts.

Nun muss Stellung bezogen werden

Bis dato wurde über das PR-Desaster, das sich rund um Nevrivy bald entfalten könnte, kaum gesprochen – zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Die paar Jung-Sozis, die rebellierten, wurden zum Schweigen gebracht.

Nun aber muss man Stellung beziehen: Am 19. Jänner findet der erste Verhandlungstermin in der Causa Wienwert statt; der KURIER berichtete. Und Ludwig muss sich festlegen, welche juristische Position er einnehmen will. Der Schaden, den sein Parteikollege der Stadt verursacht haben soll, ist beträchtlich.

Der Vorwurf: Nevrivy soll dem damaligen Wienwert-Vorstand Stefan Gruze den Standort für eine geplante Remisen-Erweiterung der Wiener Linien verraten haben, woraufhin Gruze das Grundstück kaufte und es sich später um einen deutlich erhöhten Preis von den Verkehrsbetrieben abkaufen ließ. Laut Anklage soll der Stadt Wien – konkret: den Steuerzahlern – dadurch ein Schaden von 850.000 Euro entstanden sein.

Zwei Möglichkeiten

Die Stadt hat juristisch nun zwei Möglichkeiten. Sie könnte sich dem Strafprozess als Privatbeteiligte anschließen, um an das Geld zu kommen. Oder aber sie wartet ab, ob Nevrivy verurteilt wird, und bemüht sich später auf dem zivilrechtlichen Weg um Schadenersatz.

Welchen Weg man einschlägt, ist eine politisch heikle Frage: Die Rolle als Privatbeteiligte wird von manchem in der Partei skeptisch gesehen. „Outet“ sich die Stadt als Geschädigte und meldet im laufenden Prozess Ansprüche an, „würde das ja den Eindruck erwecken, dass man von einer Schuld Nevrivys ausgeht“, erklärt ein hochrangiger Funktionär im KURIER-Gespräch. Genau diesen Eindruck wollte man bisher immer vermeiden.

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Der parteiintern mächtige SPÖ-Bezirkschef Ernst Nevrivy liebte (wie hier auf einem Archivbild) stets den großen Auftritt. In letzter Zeit wurde es ruhiger um ihn. Aber: „Er will kämpfen.“

Spätestens nach einem allfälligen Schuldspruch für Nevrivy müsse die Stadt aber versuchen, sich schadlos zu halten – immerhin geht es um Steuergeld. Alles andere, sagen Juristen, die mit der Causa vertraut sind, könnte erneut Amtsmissbrauch sein.

Zuständig für die rechtliche Vertretung der Stadt ist die sagenumwobene Rechtsabteilung der Magistratsdirektion – salopp „MD Recht“ oder „MDR“ genannt. Sie berät die Stadtregierung und erstellt (heikle) Expertisen und Rechtsgutachten. Am liebsten halten die Juristen der Abteilung, die zum Reich des einflussreichen Magistratsdirektors Dietmar Griebler gehört, größtmögliche Distanz zur Öffentlichkeit.

Hoffen, auf Befreiungsschlag

In der SPÖ hofft man, dass Nevrivy noch der Befreiungsschlag gelingt. Dass ihm das in allen vier Anklagepunkten (siehe Faktenkasten) gelingt, glauben nicht einmal jene, die ihm wohlgesonnen sind. Gerade den Vorwurf, dass er Amtsgeheimnisse verraten haben soll, „sollte er aber leicht entkräften können“, ist zu hören. Es gebe Dokumente, die belegen, dass der Bau der Remise damals längst kein Geheimnis mehr gewesen sei.

Nevrivys Glück: Bei der Strafhöhe zählt nicht, welchen Schaden er beim Steuerzahler angerichtet haben soll, sondern nur der „Vorteil“, den es für das „pflichtwidrige Amtsgeschäft“ gab. Bei der Höhe (36.000 Euro) drohen bis zu fünf Jahre Haft. Als unbescholtener Ersttäter dürfte Nevrivy erfahrungsgemäß im unteren Drittel bleiben. Blühen könnte ihm ein Amtsverlust. Wenn er zu mehr als sechs Monaten bedingter Haft verurteilt wird, verliert er laut Stadtverfassung seine Wählbarkeit.

Eine Diversion, wie sie Mahrer (der KURIER berichtete) anstreben dürfte, wird bei diesen Vorwürfen kein Thema sein. Zudem passe das auch nicht zur Verteidigungslinie, umgesetzt von Rechtsanwalt Volkert Sackmann. „Nevrivy will kämpfen“, heißt es aus seinem Umfeld.

Dass die SPÖ-Spitze hinter Nevrivy steht, hat historische Gründe: Er war maßgeblich an jener Kampagne beteiligt, die Ludwig ins Amt des SPÖ-Chefs hievte. Als sich im Zweikampf um die Nachfolge von Michael Häupl ein Sieg von Andreas Schieder und dem linken Flügel abzeichnete, ritten die roten Außenbezirke unter Nevrivy aus, um Ludwig zu installieren.

Die Anekdote zum Spitznamen

Für seine Sager und deftigen Auftritte ist Nevrivy bekannt. In der Opposition nennt man ihn (hinter vorgehaltener Hand) gerne „Messerstecher-Ernstl“. Die Anekdote zum Spitznamen: Als ÖVP und FPÖ im Jahr 2012 Unterschriften gegen die Ausweitung des Parkpickerls gesammelt hatten und diese im Gemeinderat in Kisten zu Show-Zwecken präsentierten, eilte der damalige SPÖ-Gemeinderat Nevrivy mit einem Messer nach vorne, um eine der Boxen aufzustechen – und zu beweisen, dass sie leer sei. War sie auch.

Stürzen könnte Nevrivy, wenn er politisch die Kontrolle über den 22. Bezirk zu verlieren droht, in dem die FPÖ auf dem Vormarsch ist. Hier leben knapp 230.000 Menschen – das sind mehr als etwa in Linz. Der Bezirk ist ein Machtfaktor, den die Wiener SPÖ nicht aufs Spiel setzen wird.

Ein möglicher Nachfolger stünde übrigens bereit, wie Insider mutmaßen: Klubchef Joe Taucher kommt aus der Donaustadt. Er könnte seine Karriere als Bezirkschef ausklingen lassen und zugleich im Gemeinderat eine Verjüngung der SPÖ ermöglichen.

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