Wiener Retter rücken alle zwei Minuten aus

Disponent Alexander L. (l.) im Gespräch mit dem KURIER
Seit 140 Jahren, seit dem Brand des Wiener Ringtheaters 1881, ist die Wiener Berufsrettung im Einsatz. Der KURIER war einen Tag lang in der Rettungszentrale dabei.

Ruhig ist es in dem verdunkelten Raum. Einzig das monotone Tippgeräusch der Tastatur unterbricht die Stille – und plötzlich ein Telefongespräch von Alexander L. „Ein überschlagenes Auto auf der Fahrbahn. Kommen Sie sofort!“, ruft ein Anrufer nervös ins Telefon.

Alexander L., Anfang 30, ist Disponent in der Leitstelle der Wiener Berufsrettung in Wien-Landstraße. Mehr als 1.100-mal am Tag stellen L. und seine Kollegen folgende Frage: „Sagen Sie mir genau, was passiert ist?“ Ruhig bleibt L. auch bei allen weiteren Schritten: Er alarmiert zwei Rettungsteams, die innerhalb von nur zwei Minuten auf dem Weg zum Unfallort sind, der KURIER ist mit dabei.

Apropos Minuten: Den Einsatzkräften ist vom Notruf bis zum Eintreffen eine interne Hilfsfrist von maximal zwölf Minuten gesetzt – in den meisten europäischen Hauptstädten ist dieses Limit deutlich höher.

Dass die Einsatzkräfte echte Vollprofis sind, zeigt ein Blick auf die Historie der Wiener Berufsrettung. Im Dezember 1881 wurde die Organisation gegründet, der Anlass war ein tragischer: Bei einem Brand im Ringtheater kamen 386 Menschen ums Leben. Am Tag danach wurde die Rettung ins Leben gerufen, um anderen das Leben zu retten. Heute arbeiten hier insgesamt 870 Mitarbeiter und 140 Notärzte, die jede zweite Minute einen Einsatz haben.

Wiener Retter rücken alle zwei Minuten aus

Von der Garage in der Zentrale bis zum Einsatzort sollen die Einsatzkräfte maximal 
zwölf Minuten brauchen

Zu einem solchen in Penzing geht es mit eingeschaltetem Blaulicht und „Tatütata“. Dass nicht alle Verkehrsteilnehmer so reagieren, wie vorgeschrieben, wird jedem klar, der neben dem erfahrenen Fahrer Platz nimmt. „Schau dir das an, unfassbar“, sagt er fast beiläufig, während sich sein Beifahrer vom KURIER nervös am Haltegriff oberhalb des Fensters klammert.

Bereits am Weg zum Einsatzort wird die Rettung von einigen Autofahrern bewusst ignoriert – Rettungsgasse Fehlanzeige. Knapp vor Erreichen des Unfallorts, auf einem kleinen Weg in einem Waldgebiet, behindert schließlich noch ein Gaffer die Einsatzkräfte.

Was genau passiert ist, wird wenige Minuten später ersichtlich: Mitten in einer Kurve liegt ein blauer Škoda auf dem Dach. Die Spuren des Unfalls erkennt man an Teilen von zerbrochenem Autoglas. Die Lenkerin selbst hatte Glück im Unglück. Die Frau mit Anfang 30 wurde leicht verletzt und ist mit einem Schock davongekommen.

Sie wird mit dem Rettungswagen ins Spital gebracht und die Sanitäter fahren zurück zur Rettungszentrale im dritten Bezirk. Hier ist die Rettung jeden Tag rund um die Uhr im Einsatz: Wenn Wiener die 144 wählen, landen sie in der Rettungsleitstelle, die im Vorjahr international ausgezeichnet wurde.

Wiener Retter rücken alle zwei Minuten aus

Die Lenkerin ging mit leichten Kopfverletzungen davon

Notfall: RD-6

Der Disponent Alexander L. codiert dort die Notrufe mittels eines Abfrageschemas. Wurde früher öfters wegen Herzstillständen angerufen, sieht man in der Pandemie oft die Abkürzung „RD-6“ – Atembeschwerden. „Bei diesem Code muss gefiltert werden, ob es sich um einen Corona-Verdachtsfall, eine Lungenerkrankung oder einen Asthmatiker handelt“, erklärt der Mann, der seit fünf Jahren bei der Rettung arbeitet. Die Farbsignale am Bildschirm zeigen ihm, ob Fahrzeuge belegt sind oder nicht.

Nach einer kurzen Pause klingelt es wieder: „Berufsrettung Wien Notruf, wo genau ist der Notfallort?“, fragt der Disponent, dessen Gesicht von fünf Bildschirmen beleuchtet wird. Auf der anderen Seite des Telefonhörers spricht eine junge Frau mit ängstlicher Stimme: „Meine Mama atmet schwer und bleibt nicht lange wach“. Wieder ist es große Ruhe, die L. ausstrahlt und vermittelt.

Hinter seinem Rücken steht im weißen Hemd der leitende Disponent Harald P. und beobachtet seine Mitarbeiter: „Corona hat viele ungeschriebene Gesetze geändert. Früher war ein Sonntag eher ruhig, heute gibt es kaum ruhige Tage“. Im Hintergrund hört er ein „Beruhigen Sie sich“ einer Kollegin, die gerade mit einem Notruf beschäftigt ist.

Psychologie sei in diesem Job sehr wichtig. „Das sind Stressmomente für die Anrufer. Oft kommt es zu Überforderungen, dann liegt es an uns, das Gespräch so zu lenken, um zu motivieren und sensibilisieren“, erläutert der Disponent. Nach einem Gespräch mit einem Rettungsteam storniert er einen Einsatz und atmet tief durch. Es war der letzte Notruf einer langen Schicht.

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