Aufregung um ULF-Straßenbahnen: Gesundheitsgefahr durch Klimaanlagen?

Klimatisierte Öffis an Hitzetagen sind ein wahrer Segen. Nicht nur für Passagiere, sondern auch für das Fahrpersonal, das ohne kühle, frische Luft nicht konzentriert arbeiten und Millionen Passagiere sicher ans Ziel bringen könnten. Doch ist die Klimaanlage nicht richtig gewartet, kann sie auch zum Fluch werden. Und genau das fürchten nun Mitarbeiter der Wiener Linien, die sich mit erschreckend anmutenden Aufnahmen von Fahrer-Klimaanlagen der ULF-Straßenbahnen an den KURIER gewandt haben. Tenor: „Wir sind offenkundig einem Gesundheitsrisiko ausgesetzt!“
Vorweg: Es geht hier nicht um den Fahrgastraum, für den es in moderneren Straßenbahn-Garnituren einen eigenen Luftzirkulationskreislauf gibt. In den 150 älteren ULF-Garnituren (Type A/B) existieren seit jeher nur für die Fahrer im geschlossenen Führerstand eigene Geräte, die klimatisieren, lüften und sogar heizen können. Aufnahmen im Zuge der Wartung offenbaren aber geradezu ekelerregende Zustände: Die Verdampfer-Lamellen (also dort, wo gekühlte Luft ausströmt) sind hoffnungslos verschmutzt und teilweise verstopft; fallweise auch vereist, weshalb sie nicht mehr richtig kühlen können. Auch die Isolationsmatten im Gerät oder die wagenseitigen Dämmmatten sind teils völlig vergammelt – mutmaßlich verschimmelt. „Somit dringen hier gefährliche Keime, Pilzsporen, Bakterien sowie der ganze Feinstaub ungefiltert in die Fahrerkabinen und werden vom Personal eingeatmet“, berichten die Informanten. Wohlgemerkt stammen die Aufnahmen von Zügen, die kurz davor noch im Einsatz waren.
Keine modernen Filter
Betroffen von diesen Zuständen seien rund 1.300 Fahrer, die regelmäßig mit diesen Zügen unterwegs sind. Generell sei die Fahrer-Klimaanlage eine „Fehlkonstruktion“, denn ein moderner Frischluft- oder Allergenfilter, der das Gröbste aufhalten könnte, sei gar nicht vorhanden: „Das ist also so, wie wenn ein Pkw keinen Pollenfilter hat“, heißt es.
Der Siemens-ULF (Ultra Low Floor) verkehrt seit 1995 im Wiener Öffi-Netz (siehe Infobox unten) – entsprechend in die Jahre gekommen seien daher auch die Klimageräte. Immer wieder habe das Fahrpersonal auf die Zustände aufmerksam gemacht. „Klima stinkt“, notierte etwa ein Fahrer in einem dem KURIER vorliegenden Wagenpass. Auch wird in internen Foren vor „akuter Gesundheitsgefahr“ gewarnt: „Die Fahrer sind gefährdet.“
Es gab auch schon Versuche, die Situation zu verbessern: Laut internen Unterlagen der Verkehrsbetriebe wurde via Intranet-„Ideenwerkstatt“ ein Pilotprojekt ersonnen – mit einem umfassenden Reinigungs- und Wartungsprogramm; inklusive Ausbildung von Technikern mit Sensibilisierung für das Thema.
Doch das Projekt wurde umgehend abgelehnt: „Das ist ihnen offenbar zu teuer und zu langwierig“, lautet die Kritik am Management. Stattdessen sei dann ein „oberflächliches Schnellreinigungsprogramm“ von oben via Wagendach verfügt worden. Für eine gründliche Reinigung/Wartung müsste jedoch das am Dach montierte Klimagerät – ein mehr als 100 Kilo schweres Ungetüm – abgebaut und nach unten gehievt werden, um es dann mit Wasser und Luftdruck gründlich durchzuspülen und zu desinfizieren, heißt es.
Wiener Linien: „Keine Gefährdung“
Der KURIER konfrontierte die Wiener Linien mit den Vorwürfen in Form eines umfangreichen Fragekatalogs. Die Replik fiel allerdings recht kurz und äußerst allgemein gehalten aus: „Es gab vereinzelt Rückmeldungen aus dem Fahrdienst zur Kühlwirkung oder Luftqualität. Alle Hinweise wurden ernst genommen, dokumentiert und überprüft. Es konnte keine gesundheitliche Gefährdung festgestellt werden“, heißt es in der Stellungnahme zu den ULF-Klimaanlagen.
Generell würden die Klimaanlagen „in all unseren Fahrzeugen“ dem Stand der Technik entsprechen und regelmäßig durch „speziell geschultes Fachpersonal gewartet und gereinigt“: „Mindestens einmal jährlich erfolgt eine vollständige Überprüfung und Reinigung der Anlagen.“ Zudem würde es „regelmäßige Sicherheitsbegehungen der Führungskräfte“ geben, und auch „die Arbeitsmedizin wird bei hygienerelevanten Fragestellungen eingebunden“, beteuern die Wiener Linien. „Darüber hinaus können externe Stellen wie die Arbeitsinspektion Überprüfungen durchführen“, heißt es.
Gesetze & Verordnungen
Die Wartung von Klimaanlagen in Schienenfahrzeugen ist übrigens gleich durch mehrere Gesetze, Verordnungen und Normen (teilweise auch auf EU-Ebene) geregelt, wie ein Sprecher von SP-Verkehrsminister Peter Hanke mitteilt. Grundsätzlich gilt laut Arbeitsstättenverordnung, dass Klima- oder Lüftungsanlagen „einmal jährlich, längstens jedoch in Abständen von 15 Monaten auf ihren ordnungsgemäßen Zustand zu überprüfen“ seien.
Zudem gibt es Regelungen in der Eisenbahn-ArbeitnehmerInnenschutzverordnung und der EU-Verordnung „TSI Loc&Pas“ zur CO₂-Konzentration in Schienenfahrzeugen. Allerdings: Höchstgrenzen zu Feinstaub, Pilzsporen oder Ähnlichem existieren nicht.
Der ULF sollte von Wien aus die Straßenbahnenwelt revolutionieren – letztlich ist er aber auf dem Abstellgleis gelandet. Als Wien 1995 die erste Garnitur des Siemens-Zuges namens ULF (Abkürzung für Ultra Low Floor, englisch für „Niedrigstflur“) auf Schiene brachte, staunten die Passagiere ebenso wie die Fachwelt. Denn die neue Tramway war nicht nur die erste barrierefreie im Netz der Wiener Verkehrsbetriebe, sondern mit einer Einstiegshöhe von nur 18 Zentimetern die weltweit „flachste“ überhaupt.
Doch die jetzt bekannt gewordenen Probleme mit den Klimaanlagen bei den 150 älteren Zügen fügen sich nahtlos in die bisherige Misere ein. So wurden in den 2000er-Jahren die hohe Ausfallquote und die vielen Mängel publik, die auch der Rechnungshof bestätigte. Später kam es mehrmals zu Bränden und Rauchentwicklungen (wobei niemand verletzt wurde). Und: Laut Medienberichten soll der ULF durch sein hohes Gewicht auch schuld an der übermäßigen Abnutzung der Schienen sein („Schienenfresser“).
Die Wiener Linien zogen 2014 die Notbremse und bestellen seither nur noch Flexity-Straßenbahnen von Bombardier. Außer in Wien (rund 300 Züge) fährt der ULF nur im rumänischen Oradea.
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