Tiefgarage statt U-Bahn: Wie Wiener wohnen wollen

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Der Wiener Immobilienmarkt gilt international als „Role Model“, ist aber schwer kopierbar. Eine Studie zeigt, wie er sich durch Corona verändert hat - und wo die Preise besonders anziehen.

Als Fabian Braesemann 2018 begann, Immobilieninserate auf der Plattform „Willhaben“ systematisch zu analysieren, konnte er nicht ahnen, dass sein „Spielwiesenprojekt“ zur wissenschaftlich relevanten Fallstudie werden würde. Der Datenwissenschafter, der am Wiener Complexity Science Hub (CSH) und in Oxford forscht, hatte damals begonnen, den Wiener Wohnungsmarkt zu untersuchen – aus persönlichem Interesse. „Ein Freund wollte eine Wohnung kaufen, also habe ich Daten gesammelt. Dass eine globale Pandemie kommt, war nicht absehbar“, erzählt er.

Doch mit Corona war plötzlich ein klarer Vorher-Nachher-Moment da. Für den Deutschen, der in Wien studiert hat, die ideale Gelegenheit, um zu analysieren, wie sich Wohnraumpräferenzen in einer europäischen Metropole tatsächlich verändern.

In diesen Bezirken sind die Preise besonders gestiegen

Aus Sicht des Datenforschers war die Bundeshauptstadt aus mehreren Gründen prädestiniert: Erstens ist sie stets unter den lebenswertesten Städten der Welt – unter anderem wegen des funktionierenden Wohnungsmarkts. Zweitens sind die Inserate auf „Willhaben“ detailliert und leicht zugänglich. Drittens bieten Wiens Bezirke eine teils recht deutliche sozioökonomische Gliederung: „Die City ist ganz anders als Floridsdorf“, sagt Braesemann.

 „Wir sehen eine Abwertung von Öffi-Nähe in Inseraten. Das Auto ist dem Wiener nicht wurscht.“

von Fabian Braesemann

Studienautor

Und viertens hat Wien eine Besonderheit, die global heraussticht: Fast die Hälfte des Wohnraums gehört der Stadt oder wird von gemeinnützigen Bauträgern bereitgestellt. Zum Vergleich: In Deutschland etwa liegt dieser Anteil bei rund zehn Prozent. „Das Wiener Modell hat einen dämpfenden Einfluss auf die Mietpreise. Wien ist deshalb ein Role Model – aber kein Modell, das sich einfach kopieren lässt.“

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Fabian Braesemann, Studienautor

Gemeinsam mit der Agenda Austria, dem Oxford Internet Institute und dem CSH analysierte Braesemann über Jahre hinweg mehr als 120.000 Inserate. Das Ergebnis überraschte, denn die einstige Immobilien-Binsenweisheit „Lage, Lage, Lage“ hat durch die Pandemie Risse bekommen.

Wohnen in Wien: Garage schlägt U-Bahn

„Wir sehen eine signifikante Abwertung von Öffi-Nähe in den Inseraten“, erklärt der Wissenschafter. Tiefgaragen, Fahrradräume, Gärten und Balkone hingegen wurden deutlich aufgewertet. Besonders in innerstädtischen Lagen, wo Parkgaragen rar sind, schlägt sich das im Preis nieder. „Das Auto ist dem Wiener also keineswegs wurscht“, sagt Braesemann. Die Daten zeigen: Wohnraum mit Garage ist begehrter – und bringt mehr Miete.

Wohnbau, Wohnhaus, Wohungen, Immobilien

Speziell Balkonwohnungen sind im Preis deutlich gestiegen.

Auch die Verlagerung ins Homeoffice hinterlässt Spuren: Wohnungen mit einem zusätzlichen kleinen Raum wurden gefragter – etwa für ein Arbeitszimmer. „Schon vor der Pandemie gab es diesen Trend. Corona hat ihn nur salonfähig gemacht.“ Homeoffice, so zeigt Braesemanns Analyse, ist gekommen, um zu bleiben – allerdings wohl nicht für alle.

Homeoffice als Spalter

Wer über dem Durchschnitt verdient, kann sich nicht nur eine große Wohnung mit Arbeitszimmer in attraktiver Lage leisten – er oder sie bekommt auch häufiger die Möglichkeit zum Homeoffice. „Das ist ein Ungleichheitsmotor“, warnt der Forscher. „Gerade in Berufen mit Fachkräftemangel – etwa in der IT – wird Homeoffice zunehmend als Benefit eingesetzt. Wer diese Verhandlungsmacht nicht hat, muss öfter ins Büro. Und wer sich die Stadt nicht leisten kann, pendelt weit.“ So sei es etwa in London für viele normal geworden, täglich „gigantische Distanzen“ zurückzulegen.

Symbolbild: Katze am Computer

Die Traumwohnung der Wiener bietet Platz für das Homeoffice.

Die Konsequenz, so die Studienautoren: Gerade Gemeindebauten sollten heute mit Arbeitszimmern oder zumindest geteilten Office-Flächen ausgestattet sein. „Sonst gießen wir weiter alte soziale Muster in Beton“, sagt er.

Favoriten: Hip – und teurer

Vor der Studie so nicht zu erwarten war die starke Preisentwicklung der Außenbezirke. Dort stiegen die Mieten von 2018 bis 2022 um 50 Prozent mehr als in den Innenstadtlagen. „Floridsdorf, Simmering oder Favoriten galten lange als wenig attraktiv, aber dort gibt es Raum für Neubauten – mit all den Eigenschaften, die heute gefragt sind.“ Das erklärt, warum die Mieten in diesen Gegenden überdurchschnittlich angezogen haben. Eine Entwicklung, die es zu beobachten gelte – Stichwort Gentrifizierung.

„Wenn in einst billigeren Lagen Wohnformen entstehen, die dem Zeitgeist entsprechen, ziehen sie auch einkommensstarke Schichten an. Wir kennen das aus Berlin“, gibt Braesemann zu bedenken. Dementsprechend wünscht er sich für Wien eine datenbasierte, realitätsnahe Wohnungspolitik. Ein Allheilmittel sieht er zwar nicht, aber viele kleine Bausteine: Förderungen, mehr Angebot in nachgefragten Lagen, Bürgschaften für nachhaltige Investoren, aber auch die Einbindung der Wissenschaft. „Wir haben unsere Ergebnisse an die Stadt weitergeleitet. Ich bin ich sehr gespannt, ob sie auf uns zukommen.“

Frei zugänglich ist die gesamte Studie hier.

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