Schweißperlen bilden sich auf der Stirn des jungen Mannes, während er am Bahnsteig Wien Traisengasse hektisch in seiner Tasche kramt. „Haben Sie einen Ausweis?“, fragt die vor ihm stehende ÖBB-Mitarbeiterin freundlich, aber bestimmt. Flankiert wird sie von sechs Polizisten der Wiener Bereitschaftseinheit – sie tragen wohl dazu bei, dass ertappte Schwarzfahrer immer nervös werden.
Er habe sein Ticket vergessen, stammelt er schließlich. „Eine typische Ausrede“, erklärt ein weiterer ÖBB-Mitarbeiter, der wie seine Kollegin Teil des Service- und Kontrollteams, kurz SKT, ist. 135 Euro kostet den Mann die vermeintliche Freifahrt.
Die Polizei ist an diesem Dienstagvormittag aber nicht in Zügen und auf Bahnsteigen unterwegs, um Schwarzkappler zu spielen. Es handelt sich um eine Schwerpunktaktion auf der sogenannten Stammstrecke – Österreichs am häufigsten befahrener Eisenbahnstrecke, die die Bundeshauptstadt von Nordost bis Südwest verbindet. Zwei bis dreimal im Monat sind dort Bahnmitarbeiter mit der Exekutive unterwegs, um „das subjektive Sicherheitsgefühl zu erhöhen“, wie es seitens ÖBB heißt.
Übergriffe alltäglich
Eine Rolle dürfte eine Häufung unerwünschter Vorfälle in den Waggons spielen. So kursierte im Vorjahr ein Flugblatt unter Lokführern, auf dem zu lesen war, dass „Beleidigungen, Übergriffe, übertragbare Krankheiten und Morddrohungen“ auf der Tagesordnung stünden – der KURIER berichtete.
Zuvor sorgte ein verlauster Obdachloser mehrmals pro Tag dafür, dass Garnituren eingezogen und desinfiziert werden mussten. Der Mann stieg nach einem Rausschmiss einfach in den nächsten Zug. Die Folge waren mitunter Ausfälle. Auch Drogen- und Alkoholkranke auf Bahnhöfen und in Schnellbahnen sorgten wiederholt für Unbehagen bei den Passagieren.
„Wien ist anders“
Die Stammstrecke als „Problemstrecke“ zu bezeichnen geht ÖBB-Sprecher Daniel Pinka jedoch zu weit: „Im Grunde handelt es sich um gesellschaftliche Probleme, die in den öffentlichen Raum und damit in die Öffis getragen werden.“ Mit mittlerweile mehr als 60 Schwerpunktaktionen glaube man aber, einen geeigneten Zugang gefunden zu haben.
Bei den polizeilich begleiteten Kontrollen seien schon Drogenvergehen, Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht sowie Diebstähle aufgeklärt worden. Das Feedback der Reisenden sei zudem sehr positiv.
Bei einem Lokalaugenschein ist allerdings auch Verwunderung zu beobachten, als sich die bewaffneten und mit Schutzwesten ausgestatteten Beamten im morgendlichen Pendlerverkehr durch die Waggons drängen. „In Wien brauchst’ die Polizei zum Fahrscheine kontrollieren. Wien ist anders“, raunt ein Passagier, als die Kontrolleure samt ihrer Polizeieskorte weiterziehen.
Ein anderer Fahrgast zeigt sich verblüfft, dass die ÖBB-Mitarbeiter mit Bodycams ausgestattet sind. Eine Maßnahme, die laut Pinka der Deeskalation dient. Speziell während Corona sei es zu einem Anstieg der Attacken auf Bordpersonal gekommen. „Unsere SKTs haben alle ein Deeskalationstraining durchlaufen, bei renitenten Fahrgästen können sie zusätzlich – nach vorheriger Ankündigung – die Kameras aufdrehen. Das schreckt viele ab.“
Bei gemeinsamen Schwerpunkten mit der Polizei sei das in der Regel nicht nötig. So auch an diesem Vormittag, als die größte Aufregung zwei „blinde Passagiere“ sind, die beim Anblick des Kontrollteams abrupt aufspringen. „Da haben wir wieder zwei, mit der Zeit bekommt man da einen Blick dafür“, meint ein ÖBB-Mitarbeiter gelassen. Kein Wunder, die jungen Männer wollen in den nächsten Waggon – dort wartet bereits der nächste Kontrolltrupp.
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