Im Wiener Neunerhaus: Dank Hunden Vertrauen zu Ärzten aufbauen

Gesundheitszentrum Neunerhaus
Das Neunerhaus Gesundheitszentrum bietet obdachlosen und nicht-versicherten Menschen medizinische Hilfe.

Zusammenfassung

  • Das Neunerhaus Gesundheitszentrum bietet obdachlosen und nicht-versicherten Menschen kostenlose medizinische, zahnärztliche und sozialarbeiterische Betreuung, oft mit Hilfe von Hunden als Vertrauensbrücke.
  • Jährlich werden rund 6.000 Patienten behandelt, unterstützt durch mobile Ärzte, Peer-Mitarbeiter mit eigener Obdachlosenerfahrung und Videodolmetscher in über 45 Sprachen.
  • Das spendenfinanzierte Zentrum stößt bei teuren Behandlungen an seine Grenzen und fordert mehr gesellschaftliches Verständnis und finanzielle Unterstützung.

Von Franziska Trautmann

Zuerst wird an die Gesundheit des Hundes gedacht, dann erst an die eigene. So geht es zumindest vielen obdachlosen Menschen, erzählt Stephan Leick. Er ist Arzt und Leiter des Neunerhaus Gesundheitszentrums im 5. Wiener Gemeindebezirk.  Dort können obdachlose und nicht-versicherte Menschen kostenlos, bei Bedarf anonym, medizinische und sozialarbeiterische Betreuung in Anspruch nehmen.

Der erste Patientenkontakt  entstehe über Umwege, sagt Leick. Etwa  über das benachbarte Café oder die Tierarztpraxis. Viele Betroffene gehen zuerst monatelang nur mit ihrem Hund zur Tierpraxis und bauen dadurch langsam Vertrauen zu den Ärzten auf. 

Um eigene Gesundheit kümmern

Erst danach lassen sie sich selbst untersuchen. Denn meistens fällt ihnen der Schritt, sich um die eigene Gesundheit zu kümmern, schwerer: „Menschen, die zu uns kommen, haben in ihrer Vergangenheit so viel Zurückweisung und Stigmatisierung erlebt, dass sie sich oft nicht zu uns herein trauen“, sagt Elisabeth Hammer, Geschäftsführerin des Neunerhaus.

Neben einer Arzt- und Zahnarztpraxis bietet das Gesundheitszentrum auch sozialarbeiterische Beratung, ein pflegerisches Angebot mit Schwerpunkt Wundmanagement sowie psychologische Betreuung. Besonders stolz ist Hammer aber auf etwas anderes: „Wir arbeiten auch mit Menschen zusammen, die selber einmal obdachlos waren. Nach einem Kurs können sie als Peer-Mitarbeiter Seite an Seite mit Ärzten arbeiten.“ Das erhöhe das Vertrauen zusätzlich, denn viele Patienten kommen nach Jahren zum ersten Mal wieder in medizinische Betreuung und brauchen  Zeit und persönlichen Kontakt, um sich zu öffnen.

Von der Vorsorgeuntersuchung bis zur regelmäßigen Kontrolle

Das Zentrum übernimmt nicht nur akute Notfälle, sondern begleitet auch Patienten mit chronischen Krankheiten langfristig. Je nach Kapazität können die Ärzte Vorsorgeuntersuchungen und Routinekontrollen anbieten. Für viele Patienten sei das sehr wichtig, denn dadurch bestehe die Möglichkeit, rundum gesund zu werden und sich langfristig auf einen Weg aus der Armut zu konzentrieren.

Ermöglicht werde dieses  Angebot durch enge Kooperationen mit Labor- und Röntgeninstituten sowie der Österreichischen Medikamentenhilfe, sagt der Arzt Stephan Leick.  Denn das Gesundheitszentrum ist spendenfinanziert. Einige Fachärzten bieten in ihrer Praxis an, Patienten kostenlos zu begutachten, und mehrere Krankenhäuser ermöglichen stationäre Betreuung.

Mit der medizinischen Versorgung versicherter Menschen kann man das dennoch nicht vergleichen: „Je teurer eine Behandlung ist, desto schwieriger wird es für uns“, erklärt Leick. „Wenn jemand etwa eine Chemotherapie im Wert von Hunderttausenden Euro bräuchte, können wir keine Versorgung garantieren. Eine nicht-versicherte Person wird dann vermutlich an dieser Erkrankung sterben.“ 

Patienten stehen Schlange

Von Montag bis Freitag ist das Zentrum mit zwei bis drei Ärzten besetzt. Alle Ärzte sind angestellt, bis auf einzelne Zahnärzte, die in der Praxis ehrenamtlich tätig sind. Gedeckt wird der Bedarf damit aber nicht. Patienten stehen schon lange vor den Öffnungszeiten an. Besonders jetzt erlebt das Zentrum hohen Andrang, da es heuer früher kalt geworden ist. Trotzdem sieht sich das Team gut vorbereitet: „Wir planen möglichst vorausschauend und bestellen frühzeitig Impfstoffe und Medikamente, die man in der kalten Jahreszeit eher braucht. Aber im Winter kommt es immer wieder zu Versorgungslücken“, sagt Leick.

Gemeindezentrum Neunerhaus

Die Menschen stehen vor dem Gesundheitszentrum Schlange.

Der  Winter hinterlässt auch Spuren bei den Ärzten. Bei vielen steige der Frust, wenn sie „einen Patienten behandeln und ihn dann wieder auf die kalte Straße schicken müssen.“ 
Für obdachlose Menschen fordert Leick deshalb  mehr Verständnis. Und für das Zentrum mehr finanzielle Unterstützung, um die Versorgung aller nicht-versicherter Menschen aufrechtzuerhalten.

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