Urbane Folklore: Weinlese am Wiener Schwarzenbergplatz
Die Bläser vom Musikverein Leopoldsdorf im Marchfelde stärken sich kurz vor ihrem Auftritt noch nebenan beim Würstelstand, eine Tram der Linie 71er fährt vorbei zum Zentralfriedhof.
Legionäre aus Niederösterreich: Blasmusikanten aus dem „Marchfelde“.
Sodann erscheinen auch schon einige namhafte Wiener Winzer, Stadtchef Michael Ludwig (SPÖ) und Dompfarrer Toni Faber zu einem herbstlichen Ritual mit lieblicher Note.
60 Rebstöcke in vier Reihen stehen vor einem Palais auf dem Schwarzenbergplatz Nr. 2.
Und wir wer’n nimma sein
60 Rebstöcke in vier Reihen stehen vor einem Palais auf dem Schwarzenbergplatz Nr. 2. Die knorrigen, schon in die Jahre gekommenen Stöcke bilden weit und breit die einzige grüne Ecke auf einem Platz, der alles andere als klimafit wirkt, was auch einem Mitarbeiter vom Weingut Mayer am Pfarrplatz auffällt: „Hier hat es auch der Wein schwer.“
Er weiß genau, wovon er spricht. Die Mayer-Winzer hegen und pflegen den kleinsten Weingarten Wiens. Über die Arbeit in der Mitte der Stadt erzählt er launig: „Wir suchen hier länger einen Parkplatz, als wir im Endeffekt Arbeit haben.“
Man würde gerne mehr von diesem ehrlichen Mann erfahren, doch da setzt die Marchfelder Blasmusik ein und lässt nicht nur Wiens Würdenträger aufhorchen.
Wien, ein Heurigenort: Wien ist die einzige Hauptstadt in Europa mit einem nennenswerten Weinbau. Die Winzer bewirtschaften rund 645 Hektar Rebfläche. Ihr Wein und ihre Heurigen ziehen auch Touristen an.
83 Prozent der Anbauflächen sind mit Rebsorten für weißen Wein bepflanzt, u. a. Grüner Veltliner, Riesling, Chardonnay.
Schnittiger Showdown für Michael Ludwig (SPÖ). Die Trauben des Weingartens sollen „Licht ins Dunkel“ bringen.
Danach bedankt sich Bürgermeister Ludwig ganz traditionell bei den „Winzerbetrieben in der Millionenstadt“ für deren Arbeit und beim Dompfarrer „für die guten Kontakte nach oben“.
Jedenfalls zeigte sich die Obrigkeit für den Weinjahrgang 2025 sehr gnädig. Der Präsident der Wiener Landwirtschaftskammer Norbert Walter spricht am Rande des Schwarzenbergplatzes sogar von „Jahrtausendjahrgang“, aber nur um den Superlativ schnell abzuschwächen. Ein „Jahrhundertjahrgang“ sei möglich: „Außergewöhnlich finessenreich wird der Jahrgang sicher.“ Der trockene Winter, Niederschlag im Mai und Juli, ein Sommer wie damals mit viel Sonne, aber wenig extremer Hitze, das alles war gut für den Wein.
Rund 40 bis 60 Flaschen vom gemischten Satz sind aus dem City-Weingarten zu erzielen.
Die weißen Trauben am Schwarzenbergplatz, der im Sommer kaum natürlichen Schatten bietet, mussten am Donnerstag vor dem Mittagessen noch medienwirksam gelesen werden.
Rund 40 bis 60 Flaschen vom gemischten Satz sind aus dem 100 Quadratmeter großen City-Weingarten zu erzielen. Er wurde 1924 vom damaligen Hausbetreuer Gerdenitsch angelegt. Der lebt nicht mehr – frei nach dem alten Wienerlied: „Es wird a Wein sein und wir wer’n nimma sein.“
Nach getaner Arbeit wird ein edler Weißer vom Nussberg kredenzt. Die wenigen Flaschen vom Schwarzenbergplatz sollte erneut der Bürgermeister bekommen, erklärt jemand vom Weingut Mayer: „Die wird er dann zu Weihnachten für ,Licht ins Dunkel‘ spenden.“
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