Tod am Praterstern: Sechs Jahre Haft nach Messerstich

Ein Mann mit verpixelten Gesicht sitzt in einem Gerichtssaal, bewacht von zwei Justizbeamten.
Mordprozess: Angeklagter wollte algerischen Asylwerbern angeblich "nur Angst machen". Urteil nicht rechtskräftig.

Ein 40-jähriger Wiener, der in der Nacht auf den 11. September 2015 am Praterstern mit einem Klappmesser einen algerischen Asylwerber erstochen und einen Landsmann des 37-Jährigen schwer verletzt hatte, ist am Montagabend im Landesgericht nicht rechtskräftig zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Die Anklage wegen Mordes und versuchten Mordes wurde von den acht Geschworenen einstimmig verworfen.

Für die Laienrichter mangelte es demnach am Tötungsvorsatz. Sie erkannten auf absichtliche schwere Körperverletzung, in einem Fall mit Todesfolge. Die vom Angeklagten behauptete Notwehr-Situation nahmen sie diesem mit 6:2 Stimmen nicht ab, so dass ein Strafrahmen von fünf bis zehn Jahren zum Tragen kam. Mildernd war vor allem der Umstand, dass sich der gebürtige Serbe am 22. Oktober wieder nach Wien begeben und freiwillig der Polizei gestellt hatte. "Es ist nicht anzunehmen, dass er in Serbien unter großem Fahndungsdruck gestanden ist", billigte ihm Richter Andreas Böhm in der Urteilsbegründung zu. Der Europäische Haftbefehl war erst eine Woche zuvor erlassen worden.

Der gebürtige Serbe, der in Begleitung eines Freundes am Heimweg war, wurde gegen Mitternacht vor dem Bahnhofsgelände von einer Frau auf Substitol angesprochen. Weil diese nicht von ihm abließ und er vor allem von ihrem Rottweiler bedrängt wurde ("Ich habe eine Phobie vor Hunden"), versetzte er ihr schließlich eine kräftige Ohrfeige, so dass sie zu Boden ging. Mehrere junge Algerier, die die Szene beobachtet hatten, nahmen die Verfolgung des 40-Jährigen auf. Sie wollten ihn offenbar zur Rede stellen.

Eingang zu einer S-Bahn-Station mit dem S-Bahn-Logo.
Mord Praterstern
Der 40-Jährige - er war immer wieder illegal nach Österreich gekommen, um sich hier als Gelegenheitsarbeiter zu verdingen - erklärte nun einem Schwurgericht (Vorsitz: Andreas Böhm), er habe sich von den Männern bedroht gefühlt, "weil sie so viel herumgeschrien haben". Er habe davonlaufen wollen, doch ihn hätten die Kräfte verlassen, so dass er sich an einer Säule festhalten musste. Einer der Algerier sei sogleich auf ihn losgegangen, die anderen hätten ihn umkreist, ihm ins Gesicht geschlagen und Fußtritte versetzt: "Ich habe schon gehört, wie mein Kniegelenk knistert. Sie wollten mich zu Boden stürzen."

"Ich wollte ihnen Angst machen"

Ein Mann sitzt vor Gericht, bewacht von österreichischen Polizisten.
ABD0010_20160808 - WIEN - ÖSTERREICH: Ein 39-jähriger Mann muss sich am Montag, 08. August 2016, wegen Mordes im Wiener Landesgericht verantworten, nachdem er am 11. September 2015 am Praterstern zwei algerische Asylwerber niedergestochen hatte. - FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH
Weil die anderen in der Überzahl waren, habe er sich "nicht richtig" verteidigen können. Als ihm auch noch einer auf den Rücken sprang, habe er sein Messer gezogen, schilderte der Angeklagte: "Ich habe es aufgeklappt, damit sie es sehen. Ich wollte ihnen Angst machen." Dessen ungeachtet habe einer der Algerier nach seiner Hand gegriffen. Beim Versuch, sich loszureißen, müsse er zwei Männer mit der Waffe erwischt haben: "Ich wollte sie nicht stechen. Ich wollte niemanden verletzen."
Ein Mann wird mit Handschellen gefesselt.
Fü den 62-Jährigen klickten die Handschellen
Diese Schilderung stand im Widerspruch zu den Angaben des 40-Jährigen bei der Polizei und seiner Version im Zuge eines gerichtlichen Lokalaugenscheins, wo er zwar auch von einem gegen ihn gerichteten Angriff, aber durchaus zielgerichteten Stichen gesprochen hatte. Fest steht, dass er zunächst einem 35-Jährigen einen Bruststich versetzte. Der Schwerverletzte lief noch rund 150 Meter, ehe er zusammenbrach. Eine Notoperation rettete ihm das Leben. Weniger Glück hatte ein 37-Jähriger, dem das Messer ins Auge und den Oberbauch drang. Aufgrund des Stichs ins Gesicht erlitt der Mann eine Hirnlähmung, die selbst dann tödlich verlaufen wäre, wenn der Betroffene sofort auf einen OP-Tisch gekommen wäre, wie Gerichtsmediziner Christian Reiter erläuterte. Beide Algerier waren übrigens unbewaffnet.
Ein grünes Graffiti-Symbol auf einer Fußmatte vor einer Tür.
Mord Praterstern

"Wo die Notwehr herkommen soll, weiß ich nicht"

"Wo die Notwehr herkommen soll, weiß ich nicht. Der Angeklagte hatte keine objektivierten Verletzungen", führte Staatsanwältin Ursula Kropiunig ins Treffen. Für sie lag nahe, dass Mord bzw. versuchter Mord gegeben waren: "Meiner Meinung nach will man jemanden töten, wenn man einem ins Auge und den in den Oberkörper sticht." Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft in dieser Sache allerdings Anklage wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung erhoben. In einer ersten Verhandlung Ende Mai fällte ein Schöffensenat aber ein Unzuständigkeitsurteil, da für das Gericht auf Basis der gerichtsmedizinischen Feststellungen ein Tötungsvorsatz nicht auszuschließen war. Damit wurde zwingend die Befassung eines Schwurgerichts nötig.

Der Angeklagte beteuerte am Ende seiner ausführlichen Befragung, dass ihm das Ganze leid tue: "Jeden Tag in der Haft träume ich davon. Es ist wegen einer Dummheit passiert."

Zeugen blieben Verhandlung großteils fern

Auf den Großteil der Zeugen hat das mit dem tödlichen Stich am Praterstern befasste Schwurgericht vergeblich gewartet. Der 35-jährige Algerier, der im Unterschied zu einem Landsmann einen Bruststich dank einer Notoperation überlebt hatte, kam seiner Ladung eben so wenig nach wie drei weitere Landsleute. Auch die Frau, die der Angeklagte vor den Stichen geohrfeigt hatte, blieb dem Verfahren fern.

Da die Algerier offenbar ohne Unterstand und damit nicht greifbar sind - der 35-Jährige hatte als Adresse "Wien-6, sonst unbekannt" angegeben, als ihn die Polizei am 12. Juli 2016 zufällig aufgreifen konnte und aufforderte, sich aufgrund seiner Zeugenladung umgehend mit der Justiz in Verbindung zu setzen -, wurden ihre Angaben unmittelbar nach der Bluttat verlesen. Der Schwerverletzte war noch im Spital und später auf einer Polizeiinspektion vernommen worden. "Wir hatten nicht vor, mit ihm (dem Angeklagten, Anm.) zu streiten. Wir wollten nur mit ihm reden", versicherte er den Beamten. Daher sei er mit einem Freund dem Mann, der eine Suchtmittelabhängige geohrfeigt hatte, und dessen Begleiter nachgelaufen.

Ein Mann wird von einem Polizisten mit Handschellen gefesselt.
Symbolbild
Der 40-Jährige habe sich plötzlich umgedreht und ein Messer in der Hand gehabt: "Ohne dass wir ihn angegriffen oder angesprochen haben, hat er das Messer aufgeklappt." Danach habe er ihm in die Seite gestochen, schilderte der Zeuge. Er habe dann noch gehört, wie sein Landsmann "Mein Auge! Mein Auge!" rief und zusammensackte.

Ein anderer Zeuge behauptete allerdings, einer der beiden Algerier hätte nach der Hand des 40-Jährigen gegriffen, um ihm offenbar das Messer zu entwinden. Der Bewaffnete sei mit der Hand nach hinten gefahren und habe dabei den 37-Jährigen am Auge getroffen.

Der Angeklagte hatte sich nach dem Vorfall zurück in seine Heimat nach Serbien begeben. Mittels Fotos aus den Überwachungskameras im Bahnhofsbereich, die in den Medien veröffentlicht wurden, konnte er ausgeforscht worden - der Mann, der den 40-Jährigen in Wien bei sich wohnen hatte lassen, meldete sich bei der Polizei und gab die Identität des Gesuchten bekannt. Am 15. Oktober wurde ein Europäischer Haftbefehl erlassen. Am 22. Oktober stellte sich der 40-Jährige freiwillig der Wiener Polizei.

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