Sozialdrama in Hernals: Wer kümmert sich ab Jänner um die Kids?

Ein junger anonymer Mann sitzt mit hängenden Schultern auf einer Bank.
Ein privates Gesundheitszentrum für benachteiligte Jugendliche steht vor dem finanziellen Aus. Obwohl der Nutzen für die Allgemeinheit belegt ist, will bisher keine Stelle in Wien ihr Geldbörsel öffnen.
Von Uwe Mauch

Manchmal lässt sich auch die klinische Psychologin Jutta Rentmeister von ihrem ersten Eindruck täuschen. Wenn ihr beim ersten Gespräch wieder einmal ein jugendlicher Klient gegenübersitzt und der den Anschein macht, als könne er nicht bis drei zählen. Oder im umgekehrten Fall, wenn der nächste „Fall“ selbstbewusst, eloquent und detailliert seine beruflichen Ziele formuliert.

Doch wider das gemeine Vorurteil hat die Psychologie eine ganze Reihe von Tests entwickelt. Und auf die kann auch Psychologin Rentmeister im TIW-Gesundheitszentrum jederzeit vertrauen.

„Die Resultate sind auch für mich öfters verblüffend“, gibt die Expertin zu. Während der eine, der sich beim ersten Gespräch kaum artikulieren kann, eventuell das Zeug für den Abschluss einer höheren Schule hat, zeigt dagegen der Selbstbewusste beim IQ-Test ganz offensichtlich Defizite.

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Einsam, krank und ohne Hilfe von Experten: Jugendlichen in Wien droht so ein Szenario. 

Immer mehr Störungen

„Wir haben unser Gesundheitszentrum bereits vor der Pandemie geplant“, erzählt Andreas Pollak, der in den Nullerjahren den Verein TIW (die drei Buchstaben stehen für Training, Integration und Weiterbildung) gründete.

Kerngeschäft von TIW ist das Heranführen von jungen Menschen an die Arbeitswelt. Dabei liegt der Fokus klar auf jenen, die den notwendigen Absprung aus ihrer Kindheit auch als junge Erwachsene noch nicht geschafft haben.

Weil seine Mitarbeiter in den Zehnerjahren immer öfter vor der Frage standen, ob eine psychische Störung oder aber Arbeitsunwillen bei den Jugendlichen dazu führt, dass sie keinen Job finden, wollte man diese Frage im eigenen Gesundheitszentrum möglichst profund klären.

Selbst große Mitbewerber im Sozialbereich wie etwa die Caritas Arbeitsassistenz, die Volkshilfe Wien oder das VHS Jugendcoaching haben ihre Klienten vertrauensvoll ins TIW-Gesundheitszentrum in Hernals entsandt.

Psychologin Rentmeister weiß aus ihrer täglichen Arbeit mit den Jugendlichen, dass sie Störungsbilder immer häufiger diagnostiziert und dass diese breit gefächert sind: „Sie reichen von posttraumatischen Belastungsstörungen über ADHS, also Aufmerksamkeitsdefizite, Sozialphobien und Depressionen bis hin zu Autismusverdacht, den wir jedoch nicht selbst diagnostizieren, sondern der Autismushilfe überlassen.“

Das Ende rückt näher

Jutta Rentmeister und ihre Kolleginnen haben spezielle Techniken entwickelt, um so auch mit jenen Jugendlichen gut ins Gespräch zu kommen. die dafür beim Erstgespräch alles andere als bereit sind.

Zunächst einmal in Ruhe zuhören ist immer hilfreich: „Für einige ist es schlicht so, dass ihnen noch nie jemand zugehört hat.“ Manches Indiz verbirgt sich in Nebensätzen: „Ich erinnere mich an eine 14-Jährige, die eher beiläufig erwähnt hat, dass sie zwei Mal vergewaltigt wurde.“

Wer wird die Probleme der Jugendlichen ab Jänner 2026 Ernst nehmen? Wer wird ihnen offen, ehrlich in einer Sprache, die sie auch verstehen können, erklären, was ihr Problem und was ihre persönliche Perspektive ist?

Die Hoffnung schwindet. „Die Schweizer Versicherung hat uns bereits mitgeteilt, dass sie die auf fünf Jahre vereinbarte Kooperation auf keinen Fall verlängern möchte“, berichtet Andreas Pollak.

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